CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die ihren Rückzug angekündigt hat, sieht in der Ämtertrennung zwischen Kanzlerschaft und Parteivorsitz eine Schwächung der deutschen Christdemokratie. Sie sagte am Montag nach einer Sitzung der Parteigremien in Berlin, dies geschehe in einer Phase, in der eine starke CDU gebraucht werde.
Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur müssten in einer Hand liegen, sagte Kramp-Karrenbauer und bekräftigte, sie werde den CDU-Vorsitz aufgeben und keine Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl werden.
Kein spontaner Entschluss
Der Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur und der geplante Rückzug von der Parteispitze sind nach ihrer Darstellung kein spontaner Beschluss nach den politischen Turbulenzen im Bundesland Thüringen gewesen. "Diese Entscheidung ist seit einer geraumen Zeit in mir gereift und gewachsen", sagte Kramp-Karrenbauer.
Sie betonte zugleich, dass die Frage der Kanzlerkandidatur auf einem Bundesparteitag getroffen werde. Alle anderen Vorschläge wie eine Mitgliederbefragung seien beim vergangenen Bundesparteitag abgelehnt worden. Der nächste Bundesparteitag steht regulär Anfang Dezember in Stuttgart auf dem Programm.
Merkel bedauert Entscheidung
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Rücktrittsankündigung von Kramp-Karrenbauer "mit allergrößtem Respekt" zur Kenntnis genommen. "Ich sage allerdings auch, dass ich sie bedauere", sagte Merkel am Montag vor einem Treffen mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban in Berlin.
Sie danke Kramp-Karrenbauer für ihre Bereitschaft, den Prozess der Kandidatur für die Kanzlerschaft weiter als Parteivorsitzende zu begleiten.
Kramp-Karrenbauer habe in ihrer Zeit als Parteivorsitzende Wesentliches in Gang gebracht, sagte Merkel weiter. Sie nannte die Zusammenarbeit von CDU und CSU, wo es "bekanntermaßen große Schwierigkeiten" gegeben habe. Genauso wichtig sei der Prozess für ein neues Grundsatzprogramm. Sie werde auf dem Weg der Nominierung eines Kanzlerkandidaten und der Erarbeitung eines neuen Programms mit Kramp-Karrenbauer weiter "intensiv zusammenarbeiten", ebenso wie mit ihr als Bundesverteidigungsministerin im Kabinett.
Keine Auswirkungen auf "GroKo"
Kramp-Karrenbauer sieht nach ihrem angekündigten Rückzug keine Auswirkungen auf die Große Koalition der CDU/CSU (Union) mit den Sozialdemokraten (SPD). "Es hat - wenn es nach mir geht - keine Auswirkungen auf die Stabilität der Großen Koalition", sie. Sie wies darauf hin, dass sie immer noch Parteivorsitzende sei "und dies auf absehbare Zeit noch bleiben" werde. Dabei werde sie sich für die Fortsetzung der Koalition einsetzen.
Bundeskanzlerin Merkel, die Deutschland seit 2005 regiert, will bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr kandidieren. Merkel sprach sich dafür aus, Kramp-Karrenbauer Ministerin bleibt. Das wurde am Montag aus der Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin ebenfalls bekannt. Merkel habe Kramp-Karrenbauer zudem ihren großen Dank ausgesprochen.
Termin unbekannt
Einen Termin für ihren Rücktritt als CDU-Chefin nannte Kramp-Karrenbauer nicht. Sie wolle zunächst die Kür eines Kanzlerkandidaten der Union steuern und empfehle, dem Kandidaten dann auch den Parteivorsitz zu übergeben. Die Trennung von CDU-Vorsitz und Kanzleramt beziehungsweise Kanzlerkandidatur habe sich nicht bewährt.
Merkel, die ihr Amt als Parteichefin 2018 an Kramp-Karrenbauer abgegeben hatte, aber Regierungschefin blieb, will Kramp-Karrenbauer auch nach dem angekündigten Rückzug vom CDU-Vorsitz im Kabinett behalten. "Frau Kramp-Karrenbauer möchte gerne Verteidigungsministerin bleiben, die Bundeskanzlerin unterstützt das aus vollem Herzen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es gebe "eine sehr gute und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit" zwischen der Kanzlerin und der Verteidigungsministerin, die im Vorjahr das Ministeramt übernahm.
Merz: Respekt für Rückzugschritt
Der frühere CDU/CSU-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz (CDU), hat am Montagnachmittag in einer kurzen Stellungnahme auf die Rücktrittsankündigung von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer reagiert. Die Entscheidung "verdient Respekt", schrieb Merz auf Twitter.
Er fügte hinzu: "Ich gebe ihr jede Unterstützung dabei, den Prozess ihrer Nachfolge und der Kanzlerkandidatur als gewählte Parteivorsitzende von vorn zu führen." Kramp-Karrenbauer hatte kurz zuvor, als sie am Nachmittag vor die Presse trat, mit nahezu gleichlautenden Worten beschrieben, wie sie weiter vorgehen will.
Merz war Ende 2018 im Rennen um den CDU-Vorsitz Kramp-Karrenbauer knapp unterlegen. In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder durchblicken lassen, dass er eine Rolle bei der Neuaufstellung seiner Partei für sich anstrebt. In Teilen der CDU-Basis verfügt Merz über viel Rückhalt. Die rechtskonservative Parteigruppierung Werteunion in der CDU brachte ihn als Kanzlerkandidaten ins Spiel.
"Ausgrenzungskurs gegen die AfD"
AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland begrüßte den Schritt Annegret Kramp-Karrenbauers und sieht nun Chancen für eine Annäherung der beiden Parteien. "Es ist völlig unsinnig und realitätsfern, auf Dauer nicht mit der AfD zusammen arbeiten zu wollen", erklärte Gauland am Montag in Berlin. Er fügte hinzu: "Ihre parteiinterne Politik der Ausgrenzung gegenüber unserer demokratischen Bürgerpartei hat sie nicht durchsetzen können." Kramp-Karrenbauer habe "die CDU mit ihrem Ausgrenzungskurs ins Chaos gestürzt", sagte Gauland weiter.
Die rechtskonservative CDU-Parteigruppierung Werteunion schlug unterdessen eine Mitgliederbefragung zur Klärung der Nachfolge Kramp-Karrenbauers vor. "Wir wünschen uns eine starke Einbindung der Mitglieder in den Findungsprozess", sagte Werteunion-Chef Alexander Mitsch am Montag der Nachrichtenagentur AFP. "Wichtig ist jetzt, dass es keine lange Hängepartie wird und dass auch die Konservativen und Wirtschaftsliberalen sich mit dem neuen Kanzlerkandidaten identifizieren können." Mitsch äußerte "Respekt" dafür, dass Kramp-Karrenbauer ihre persönlichen Ambitionen zurückgestellt und den Weg für einen starken Kanzlerkandidaten der Union freimacht".
Wirbel in Thüringen
Vorige Woche hatte die völlig überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des ostdeutschen Bundeslandes Thüringen mit den Stimmen der CDU, aber auch der AfD, deren Landtagsfraktion von Partei-Rechtsaußen Björn Höcke geleitet wird, zu heftigen Debatten auch auf Bundesebene geführt. Kemmerich trat zurück. Die Ereignisse erschütterten auch die CDU. Dort wurden Rufe nach einem härteren Vorgehen der Bundespartei gegen die Werteunion laut - etwa in Form eines Unvereinbarkeitsbeschlusses. Kramp-Karrenbauer wurde wegen ihres Krisenmanagements kritisiert.
Neben Annegret Kramp-Karrenbauer waren als Kanzlerkandidaten der CDU/CSU auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, Merz, CSU-Chef Markus Söder und Gesundheitsminister Jens Spahn im Gespräch. Im Präsidium meldete keiner der Anwesenden seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur an, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Parteikreisen erfuhr.