Bei der irischen Parlamentswahl hat es am Samstag einen massiven Linksruck gegeben. Ersten Ergebnissen zufolge landete die republikanische Sinn Fein (SF) mit 24 Prozent der Stimmen landesweit an erster Stelle, dürfte aber wegen der Eigenheiten des Wahlsystems nicht die meisten Mandate bekommen. Parteichefin Mary Lou McDonald stellte am Sonntagnachmittag dennoch den Regierungsanspruch.

"Ich werde mit jedem reden und jedem zuhören", sagte McDonald. Sie habe bereits mit den Grünen, den Sozialdemokraten und der Linkspartei "Solidarity - People Before Profit" über die Regierungsbildung gesprochen.

160 Mandate

Ersten Prognosen der Tageszeitung "Irish Times" (Onlineausgabe) zufolge könnte die SF 36 der 160 Mandate im neuen Parlament (Dail) erreichen, um 14 mehr als bisher. Sie läge damit an dritter Stelle hinter der rechtsliberalen Oppositionspartei Fianna Fail (44) und der konservativen Regierungspartei Fine Gail (39) von Ministerpräsident Leo Varadkar. Während die FF ihren Mandatsstand von vor vier Jahren halten könnte, verlöre die Regierungspartei FG elf Mandate. Den beiden Großparteien kam zugute, dass sie weit mehr Kandidaten aufstellten als Sinn Fein, die - in Erwartung eines schlechteren Ergebnisses - lediglich 42 Bewerber ins Rennen schickte.

FF-Chef Micheal Martin sagte, dass seine Partei voraussichtlich stärkste Kraft im neuen Parlament werde. Ministerpräsident Varadkar wollte sich noch nicht geschlagen geben. Es sei nicht klar, welche Partei die Nummer eins werde. Alle drei großen Parteien lägen "um die 40 Sitze", sagte er. Zugleich bekräftigte er sein Nein zu einer Koalition mit der SF, weil deren Programm mit jenem der konservativen FG "nicht kompatibel" sei. Die Regierungsbildung werde "ziemlich schwierig", räumte Varadkar ein.

Historischer Wahlerfolg

McDonald sagte beim Eintreffen in ihrem Wahllokal, sie wolle eine Regierung "ohne Fine Gael oder Fianna Fail bilden". Sie wertete den Wahlerfolg ihrer Partei als "historisch" und betonte, "dass die Vereinigung (Irlands) noch nie so nahe gewesen ist". Die SF-Chefin hofft offenbar darauf, mit Unterstützung kleinerer linksgerichteter Parteien und unabhängiger Abgeordneter Regierungschefin werden zu können. So werden den Grünen zehn Mandate vorhergesagt, kleineren Linksparteien 15 und unabhängigen Kandidaten 18 Mandate.

Zittern um Mandat

Während McDonald in ihrem Dubliner Wahlkreis auf Anhieb mit einer übergroßen Mehrheit gewählt wurde, musste Regierungschef Varadkar in einem anderen Wahlkreis der Hauptstadt um sein Mandat zittern. Entgegen den Erwartungen schaffte er weder im ersten noch im zweiten Durchgang die erforderliche Stimmenanzahl und musste auf weitere Auszählungsrunden hoffen, in denen nach und nach die Zweitpräferenzen der hinter ihm liegenden Kandidaten verteilt werden.

Politischer Arm der IRA

Die beiden Traditionsparteien haben vor der Wahl eine Koalition mit der SF ausgeschlossen. Die linksgerichtete Partei wurde jahrzehntelang geächtet, weil sie als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA galt, die sich nicht mit der Teilung Irlands abfinden konnte. Im Wahlkampf hat die SF ein Referendum über die Wiedervereinigung Irlands innerhalb der nächsten fünf Jahre versprochen. Verantwortlich für ihren Wahlerfolg dürften aber vor allem soziale Themen gewesen sein. Mit scharfer Kritik an den hohen Mieten im Land traf die Linkspartei den Nerv vieler Iren.

Magische Zahl 80

Entscheidend dürfte sein, ob die Mandatszahl von FF und FG unter 80 rutscht, weil sich dann nicht einmal mehr eine Große Koalition ausginge. Die beiden bürgerlichen Parteien haben das politische Leben Irlands seit der Staatsgründung im Jahr 1920 bestimmt und praktisch durchgehend - abwechselnd mit kleineren Parteien - regiert. In der abgelaufenen Legislaturperiode stützte die FF die FG-Minderheitsregierung Varadkars. Sollte sich der Sieg der SF bestätigen, wäre erstmals überhaupt eine Linkspartei stimmenstärkste Kraft auf der Grünen Insel geworden.