Bei der Parlamentswahl in Irland am Samstag hat sich eine hohe Wahlbeteiligung abgezeichnet. Im Fokus des Interesses steht das Abschneiden der linksgerichteten Oppositionspartei Sinn Fein, der starke Zugewinne zugetraut werden. Premierminister Leo Varadkar, der mit seiner liberal-konservativen Fine Gael eine Minderheitsregierung anführt, droht dagegen eine Niederlage.
In einigen der 39 Wahlkreise hatten bis zur Mittagszeit bereits mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten ihr Kreuz gemacht. Möglicherweise hatten sich aber auch viele der rund 3,4 Millionen wahlberechtigten Iren nur früher als gewöhnlich auf den Weg ins Wahllokal gemacht, weil der Wetterdienst für den Abend heftigen Wind und Regen für Teile des Landes vorhergesagt hatte - ein Vorbote des Sturms Ciara, der am Sonntag über das Land fegen soll.
Als der irische Präsident Michael D. Higgins seinen Wahlzettel in Dublin abgab, war das Wetter noch sonnig. Sein Amt steht nicht zur Disposition. Gewählt wurden 159 neue Abgeordnete im Parlament (Dail) und damit auch eine neue Regierung. Varadkars Regierungspartei Fine Gael landete in jüngsten Umfragen auf dem dritten Platz hinter Sinn Fein und der konservativen Fianna Fail.
Sinn Fein
Alle Augen waren auf das Abschneiden von Sinn Fein gerichtet. Die Partei arbeitet an einer Wiedervereinigung Irlands mit dem britischen Nordirland und galt früher als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA. Sinn Fein ist als einzige Partei in beiden Teilen der irischen Insel vertreten. Für ihren Höhenflug ist wohl vor allem der Wunsch vieler irischer Wähler nach Veränderung verantwortlich. Die Partei scheint insbesondere bei jüngeren Iren mit ihrem Versprechen anzukommen, die Wohnungsnot zu lindern.
Sollte sich das starke Abschneiden Sinn Feins in den Umfragen auch an den Wahlurnen bestätigen, wäre das eine Sensation. Für eine Regierungsbildung dürfte es aber kaum reichen. Die Partei tritt gar nicht in allen Wahlkreisen an. Zudem schließen sowohl Fine Gael als auch Fianna Fail eine Zusammenarbeit mit Sinn Fein bisher aus. Sollte es wider Erwarten zu einer Regierungsbeteiligung von Sinn Fein kommen, dürfte die Forderung nach einem baldigen Referendum über die irische Wiedervereinigung in Dublin zur offiziellen Regierungslinie werden.
Möglichkeiten
Am wahrscheinlichsten gelten eine Koalition von Fianna Fail und Fine Gael oder eine Minderheitsregierung von Fianna Fail, die von Fine Gael toleriert wird. Neuer Premier könnte dann Fianna-Fail-Chef Micheál Martin werden. Das, obwohl seine Partei für die wirtschaftliche Krise des Landes vor einem guten Jahrzehnt verantwortlich gemacht wird. Gerechnet wird mit langwierigen Verhandlungen über eine Regierungsbildung.
Das Thema Brexit schien bei der Wahl überraschenderweise nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Ausgerechnet hier hatte Varadkar gehofft, sich profilieren zu können. Er fuhr in der Verhandlungen zwischen Brüssel und London über den britischen EU-Austritt einen harten Kurs und konnte sich mit seinen Forderungen weitgehend durchsetzen. Der Durchbruch bei den Brexit-Gesprächen gelang bei einem persönlichen Gespräch Varadkars mit dem britischen Premierminister Boris Johnson im vergangenen Herbst.
Kompliziertes System
Das Wahlsystem ist kompliziert. In jedem der 39 Wahlkreise können bis zu fünf Kandidaten gewählt werden. Jeder Wähler hat nur eine Stimme, kann aber mehrere Präferenzen angeben. Damit wird verhindert, dass die Stimmen für Kandidaten verfallen, die in einem Wahlkreis nicht an erster Stelle abschneiden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender RTÉ wollte direkt nach Schließung der Wahllokale um 23 Uhr (MEZ) die Ergebnisse einer Nachwahlbefragung veröffentlichen.