Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen als "unverzeihlich" kritisiert. Das Ergebnis dieses Vorgangs müsse rückgängig gemacht werden, sagte Merkel am Donnerstag bei einem Besuch in Südafrika und stellte sich damit indirekt hinter Neuwahl-Forderungen.
Kemmerich lehnte eine Neuwahl am Donnerstag weiter ab. Auch der Druck aus der eigenen Partei wuchs. Kemmerich bekräftigte indes seine Pläne zur Regierungsbildung.
"Die Arbeit beginnt jetzt", sagte er am Donnerstag ungeachtet der Rufe nach seinem Rücktritt und Neuwahlen auch aus seiner eigenen Partei. Es gehe darum, "die Spaltung dieser Gesellschaft zu überwinden", sagte Kemmerich. Er hoffe, dass "die demokratischen Parteien, die demokratischen Abgeordneten" aufeinander zugehen und die aufgepeitschte Lage beruhigen. "Denn Neuwahlen in dieser Situation würden nur zu einer Stärkung der Ränder weiter führen. Das können Demokraten nicht wollen", sagte Kemmerich.
Schaden entstanden
"Ich rechne damit, dass Thomas Kemmerich sein Amt zurückgibt in nicht allzu ferner Zukunft und dass es dann Neuwahlen gibt", sagte der Vizefraktionschef der FDP im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, im Deutschlandfunk. Durch Kemmerichs Wahl mit Stimmen der rechten AfD sei "Schaden entstanden", sagte Lambsdorff. Die thüringische Landes-FDP habe "sich verführen lassen".
FDP Bundesvorsitzender Christian Lindner habe klar gemacht, dass er eine "stillschweigende Koalition" von FDP, CDU und AfD in Thüringen nicht akzeptiere. "Die FDP als Gesamtpartei schaut auf die Vorgänge in Thüringen und ist überwiegend genauso erschrocken wie große Teile der Bevölkerung."
Lambsdorff kritisierte das Vorgehen der thüringischen FDP. "Es hätte diese Kandidatur nicht geben müssen", sagte er. "Es ist ungewöhnlich, dass eine Partei mit fünf Prozent den Ministerpräsidenten stellt." Er wies allerdings auch darauf hin, dass Landesverbände in solchen Fragen autonom seien und die Bundespartei kein Weisungsrecht in den Ländern habe.
Ein Sündenfall
Der Ministerpräsident des benachbarten Sachsen, Michael Kretschmer (CDU), sagte im Sender ARD, man könne im Interesse Thüringens nur erwarten, "dass man sich jetzt wirklich einigt, die nächste Zeit zusammenarbeitet, und dass es dann in einem geordneten Prozess zu Neuwahlen kommt". Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte der "Augsburger Allgemeinen", die Wahl Kemmerichs sei "ein schwerer Fehler, ein Sündenfall". Die logische Konsequenz sei eine Neuwahl.
Kein politisches Lager habe bei der Landtagswahl eine Mehrheit bekommen, sagte Kretschmer. Eine Zusammenarbeit mit der AfD sei aber nicht möglich. "Deswegen ist das falsch, was dort passiert ist." Auch die Chefin der Bundes-CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat bereits für eine Neuwahl in Thüringen plädiert und das Verhalten der Landes-CDU kritisiert.
Offene Rücktrittsforderungen an Kemmerich kamen aus den FDP-Landesverbänden. Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Jochen Stamp (FDP) erklärte: "Ich fordere Thomas Kemmerich auf, mit einem Rücktritt den Weg zu Neuwahlen in Thüringen frei zu machen." Es dürfe "keine Zusammenarbeit jedweder Art mit der AfD geben". Ähnlich äußerte sich Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsident Heiner Garg (FDP), der Kemmerich zum "sofortigen Rücktritt" aufforderte.
Kemmerich betonte, er wolle sich bei der Ausübung seines Amts nicht auf die AfD stützen. "Wir werden keine Regierungspolitik an der AfD ausrichten". Es werde mit dieser Partei "keinerlei Zusammenarbeit" geben. Die AfD habe "ihre Spielchen gemacht", sagte er mit Blick auf die Wahl vom Mittwoch.
"Gutes Ergebnis"
Zustimmung erhielt die Thüringer CDU unter Mike Mohring dagegen von der konservativen Werteunion der CDU. Deren Vorsitzender Alexander Mitsch sagte in der ARD, die Abwahl des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sei "ein gutes Ergebnis". Die Spitzen der Großen Koalition im Bund wollen am Samstag bei einem kurzfristig anberaumten Treffen über die Lage nach der Ministerpräsidentenwahl beraten.
Kemmerich war am Mittwoch im Erfurter Landtag im dritten Wahlgang als erster Ministerpräsident in Deutschland nur durch die Unterstützung der rechten AfD gewählt worden. Für ihn stimmten in geheimer Wahl mutmaßlich AfD, CDU und FDP. Der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), dessen Partei bei der Landtagswahl im Oktober 2019 stärkste Kraft geworden war, unterlag mit 44 gegen 45 Stimmen.