Es gibt ein Wortspiel, das derzeit viele junge, gebildete Amerikaner verwenden. „Feel the Bern“ spielt mit der Redewendung „Feel the burn“. Sie spüren das Feuer in sich und die Hoffnung auf eine Revolution. Ihre Revolution. Und Bernie Sanders soll sie anführen. Der parteilose Senator aus Vermont hat mit seinen linkspopulistischen Ideen eine Graswurzelbewegung ausgelöst, die ihn im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei immer stärker zu tragen scheint.
Als demokratischer Sozialist wird der 77-Jährige in den USA oft bezeichnet, dabei sind seine Ideen aus europäischer Sicht weder revolutionär noch sozialistisch. Eine Gesundheitsversicherung für alle, einen Mindestlohn und höhere Steuern für Milliardäre. Das lässt selbst Konservative in Frankreich oder Österreich eher mit den Schultern zucken. In den USA allerdings lässt das sogar manche Demokraten aufschrecken. Aber die werden offenbar immer weniger, denn bei den ersten Vorwahlen in Iowa ging Sanders nach einem Auszählungschaos als Sieger vor seinen größten Kontrahenten Joe Biden, Elizabeth Warren und Pete Buttigieg durchs Ziel. Das war durchaus erwartet worden, aber auch die nationalen Umfragen drehen sich zu seinen Gunsten. Das Momentum liegt gerade beim Anti-Trump.
Ein demokratischer Sozialist
Dabei klingt manches, was Sanders sagt, nicht einmal anders als bei seinem ausgemachten Feind Donald Trump. Der praktizierte Freihandel sei unfair für amerikanische Arbeiter. Sagt Sanders. Allerdings zieht er ein anderes Fazit: „Wir dürfen die Gier der Milliardäre nicht länger akzeptieren.“ So jedenfalls brachte er es vor zwei Jahren beim Besuch in Berlin auf den Punkt. Seine zentralen Themen sind ein gerechteres Sozial- und Gesundheitssystem sowie der Klimaschutz. Sein Manifest „Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft“ wurde in den USA ebenso wie in Europa zum Bestseller.
Das trifft einen Nerv. „Wir haben eine junge Generation, die die Welt anders sieht und aus dem alten Modell ausbrechen will. Diese jungen Menschen sind gut ausgebildet und sehen, dass nahezu jedes größere Land der Erde eine Gesundheitsvorsorge anbietet“, sagte Sanders damals im Interview mit der Kleinen Zeitung. Diese Sätze hallen auch aktuell wieder durch die kleinen Räume und großen Säle, wenn Sanders auftritt. Seine Anhänger gehören eindeutig zu den leidenschaftlichsten im Wahlkampf. Entsprechend tobt das Plenum, wenn Sanders das Feuer auf der Bühne entzündet.
Europäische Wurzeln
Gerne verweist der Senator in seinen Reden auf Kanada und Europa. Dort sei vieles selbstverständlich, was in Amerika wie eine Revolution anmute, betont er. Er sieht sich als bekehrter Amerikaner, der seine Wurzeln auf dem Alten Kontinent hat. Sein Vater, ein polnischer Jude, wanderte im Ersten Weltkrieg in die USA ein als Verkäufer von Farben und Lacken. Sohn Bernie wurde 1941 in Brooklyn geboren. Nach dem Politikstudium schloss er sich sozialistischen Bewegungen an, wurde 1981 zum Bürgermeister von Burlington im Bundesstaat Vermont und sitzt seit insgesamt 16 Jahren im Repräsentantenhaus, länger als jeder andere unabhängige Politiker in den USA.
Schon im vorigen Wahlkampf kandidierte er – nun für die Demokraten –, unterlag aber nach einem schmutzigen Wahlkampf Hillary Clinton. Dabei gelang ihm etwas, was noch kein US-Bürger jüdischen Glaubens geschafft hatte: mehrere Vorwahlen zu gewinnen. Nun hat er in Iowa die nächste gewonnen. Es sieht so aus, als solle es nicht die letzte sein. In den Prognosen für New Hampshire in einer Woche liegt er erneut vorne. Und nicht wenige Analysten geben ihm inzwischen sogar eine Chance, im Duell gegen US-Präsident Donald Trump zu gewinnen. Wenn er es denn schafft, auch bei den moderaten Demokraten und Wählern in der liberalen Mitte das Feuer zu entzünden.
Ingo Hasewend