War die gezielte Tötung Kassem Soleimanis ein legitimes Mittel der Politik im Kampf gegen den Terror? Vorweg einige Fakten: Soleimani, iranischer Offizier im Generalsrang, kommandierte die Al-Kuds-Brigaden, die durch revolutionäre Operationen außerhalb des Irans einen weltweiten islamischen Staat herbeiführen wollen. Die Al-Kuds, die mit anderen islamistischen Organisationen kooperieren, werden von den USA als Terrororganisation eingestuft.
Soleimani, enger Vertrauter des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei, galt als schlau und hinterlistig. Zuletzt war er vom Geheimdienst angeblich als Drahtzieher eines Raketenangriffs auf einen US-Stützpunkt im Nordirak identifiziert worden. Unter den Vergeltungsoptionen, die dem US-Präsidenten Donald Trump vorlagen, soll dieser spontan die radikalste gewählt haben: Soleimanis „Terminierung“ durch eine Kampfdrohne, ausgeführt am 3. Jänner dieses Jahres.
Die Doktrin des "gerechten Krieges"
Dass sich durch derlei Brachialakte die antiwestliche Stimmung in der islamischen Welt vertieft, belegt der organisierte und spontane „Volkszorn“ im Iran, Irak, Libanon und anderswo. Im Gegenzug erhalten jene Abendlandschützer Auftrieb, die lauthals vom unumgänglichen „Krieg gegen den Terror“ schwadronieren und Repressionsakte als legitime Kriegshandlungen predigen. Das ist bellizistische Rhetorik. Völkerrechtlich können nur Staaten gegeneinander Krieg führen, und nur wenn ein Staat einem anderen den Krieg erklärt, sind entsprechende Verteidigungsanstrengungen gerechtfertigt. Dabei verlangt die Doktrin des „gerechten Krieges“, dass das Gewaltpotenzial so niedrig wie möglich gehalten wird. Keineswegs ist jedes Mittel erlaubt: Folter, Verstümmelung, Ermordung von Zivilpersonen, namentlich von Kindern, Frauen, alten und gebrechlichen Menschen.
Was aber, wenn im Rahmen des Dschihad nicht nur die verhetzten Massen „Tod dem Westen!“ skandieren, sondern ihre ultrareligiösen Anführer auch zu Gräueltaten aufrufen, welche, sobald vollbracht, triumphierend rund um die Welt durchs Internet laufen? Köpfe werden abgeschlagen, heilige Orte geschändet … Wie soll der verhasste Westen reagieren, der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, die nicht umsonst universell und absolut gelten? Aufgrund der an Dschihadisten vollzogenen Erniedrigungen und Folterungen in Guantanamo Bay und an anderen, geheimen Orten, auch in Europa, hat unsere Zivilisation ihren moralischen Mehrwert erheblich beschädigt. Dagegen wird von antiislamistischer Seite erbittert argumentiert: Gerade weil der religiöse Terror keine Kriegsmoral kenne, sondern alle Mittel der Abschreckung und Vernichtung einsetze, dürfe die säkulare Demokratie nicht zögerlich agieren. Sie müsse notfalls ihre Zurückhaltung abstreifen. Es gilt wieder: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Terror gibt es, seitdem Menschen zu kollektiven Gewalthandlungen fähig sind, wobei zu beachten ist, dass die Terroristen von gestern die Staatsmänner von morgen sein können – oder jedenfalls deren wichtigste militärische Stütze. Gegenüber der Bedrohung, die vom geopolitisch expansiven Islamismus ausgeht, besteht die wichtigste Maßnahme zweifellos im effektiven Schutz der friedlichen Bevölkerung des demokratischen Rechtsstaates, der seine Autorität zu wahren hat. Dass dabei Gotteskrieger und selbsternannte Märtyrer, die ausziehen, um alle „Ungläubigen“ zu töten, damit rechnen müssen, selbst getötet zu werden, ist erwartbar und, vom Standpunkt der Angriffsziele, legitim.
Aber wie sind Akte der Vergeltung, die von unserer Seite ausgehen, zu beurteilen? Da sich alle humanistisch und christlich bemühten Gesellschaften darauf verpflichtet haben, die archaischen „Instinkte“ des Menschen zu zügeln, ist eine begrenzte, kalkulierbare Vergeltung nur das letzte Mittel, um Schlimmeres zu verhindern. Man denke an eine mordlüsterne Pogromstimmung, die im Bürgerkrieg oder Genozid enden könnte. Hier stehen die obersten Prinzipien unserer Zivilisation auf dem Spiel.
Das Muskelspiel des America-First-Präsidenten
Man wird also einräumen, dass es Bedingungen quasi einer staatlichen „Notwehr“ gibt, die sogar auf grundrechtlich besorgter Seite eine gezielte Tötung als politisches Mittel rechtfertigen, sofern damit keine weitere Missachtung der menschlichen Würde einhergeht. Unter Berücksichtigung solcher Bedingungen erscheint dann freilich die Tötung Soleimanis – ausgeführt aus sicherer Deckung, von einer militärischen Steuerungszentrale viele Kilometer entfernt – als das Muskelspiel eines Mannes im Weißen Haus, dem, als obersten Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, moralische Skrupel weitestgehend fremd sind. Donald Trump, dessen unberechenbares, affektgetriebenes Agieren seine engsten Berater in Schrecken versetzt, ist nicht willens oder unfähig, die komplexen Konsequenzen seines Handelns abzuschätzen. Die beschränkte Vorhersehbarkeit weltpolitischer Folgeereignisse scheint den America-First-Präsidenten bloß zu erhitzen, statt ihn zur Mäßigung anzuhalten.
Daraus ergibt sich weder eine Entschuldigung für Soleimanis Taktieren im Terrornetzwerk noch für die Anschläge islamistischer Milizen auf US-Soldaten, deren Anwesenheit in den Krisenregionen friedenssichernden Zwecken dient. Aber es disqualifiziert denjenigen, der den Befehl zur gezielten Tötung Soleimanis gab. Trump sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden, egal, ob er nun wieder – für wie lange? – auf den Weg der Drohungen, Wirtschaftssanktionen und diplomatischen Angebote zurückkehrt.
Die Rolle der USA nach dem Zweiten Weltkrieg war die einer – gerade für Europa hilfreichen – „Weltpolizei“, die jedoch nie aufgehört hat, lokale Kriege zu führen, deren Opfer längst in die Millionen gehen. Nun zeigen sich vermehrt Züge einer politischen Egomanie, die, mit einem riesigen Arsenal an Massenvernichtungswaffen ausgestattet, von einem erheblichen Teil der Amerikaner begrüßt wird, nicht zu reden von den hartgesottenen, um ihren Einfluss und ihre Pfründe bangenden „Trumpisten“ im Lager der Republikaner.
Fazit: Unbeschadet der Folgen, welche die Politik Donald Trumps noch haben mag, bleibt die grundsätzliche Problematik. War die gezielte Tötung Soleimanis ein legitimes Mittel im Kampf gegen den Terror? Die Antwort lautet „Nein“, weil keine unmittelbare Bedrohung der Staatsmacht vorlag. Stattdessen ist eine weltweite Vertiefung des Hasses der islamischen Welt gegenüber dem Westen, besonders den USA und ihren Verbündeten, namentlich Israel, zu erwarten. Weltweite Terrornetzwerke sind einer vielköpfigen Schlange vergleichbar, der zwei Köpfe nachwachsen, sobald man ihr einen abschlägt.
Die USA hatten Sanktionsmöglichkeiten, die weit weniger Unruhe im Krisengebiet ausgelöst und nicht die Gefahr expansionsgeladener Verwicklungen im Nahen Osten erhöht hätten. Im schlimmsten Fall müssen wir in nächster Zukunft wieder einmal mit einer Intensivierung terroristischer Aktivitäten leben – und sterben. Noch nie war nach 1945, mit Ausnahme der Kubakrise, so oft die Rede vom „Dritten Weltkrieg“, begleitet von der bangen Nachfrage: Schlittern wir in eine militärische Apokalypse?
Peter Strasser