Stolz schaut Gidon Bromberg auf die riesigen Rohre, die vor wenigen Tagen auf einem Bergplateau in Galiläa installiert wurden. In Nahost mag kaum jemand mehr an Frieden zwischen Israelis und Palästinensern glauben. Doch Bromberg erfüllt der Anblick der mannshohen Öffnungen mit Hoffnung: „Die Rohre stehen für einen völlig neuen Ansatz, der hier in Nahost viel verändern kann“, sagt der 56 Jahre alte Gründer der Umwelt- und Friedensorganisation „EcoPeace“.
Die Leitung, zu der die Rohre zusammengeschweißt werden sollen, ist Teil eines der größten Infrastrukturprojekte Israels. Mehr als 250 Millionen Euro investiert die Regierung, um in wenigen Jahren Hunderte Millionen Kubikmeter entsalztes Meerwasser in den See Genezareth fließen zu lassen, um dieses einzigartige Biotop zu retten. „Er ist der tiefste See der Erde, von enormer historischer und religiöser Bedeutung“, erklärt Bromberg. Doch für ihn ist das nur ein erster Schritt zur Umsetzung einer hochambitiösen Vision, die der Israeli gemeinsam mit palästinensischen und jordanischen Aktivisten formulierte. Diese soll der ganzen Region Frieden bescheren, indem sie Umweltprobleme löst. Der rapide fortschreitende Klimawandel könnte beim Erfolg dieser Initiative Pate stehen.
Der Bau der Leitung ist für Israel eine Revolution. Sie steht neben einem offenen Kanal, der vor 60 Jahren Israels größtes Infrastrukturprojekt darstellte: Über 4000 Bauarbeiter gruben bis 1964 den 130 Kilometer langen „nationalen Wasserkanal“. Der brachte Wasser vom See Genezareth – damals Israels wichtigstem Trinkwasserreservoir – in den kargen Süden. Jährlich bis zu 500 Millionen Kubikmeter flossen so Richtung Tel Aviv und in die Negev-Wüste.
Klimawandel und technologische Entwicklungen stellen diese Politik jetzt auf den Kopf. Es regnet immer weniger, der See droht auszutrocknen. Israel hat deshalb begonnen, immer mehr Meerwasser zu entsalzen und Abwässer zu recyceln. Deshalb will die Regierung den See Genezareth füllen, statt ihn zu leeren – anfänglich mit 120 Millionen Kubikmeter im Jahr, später sollen es bis zu 300 Millionen werden. Das eröffnet neue politische Optionen. Die Fertigstellung des Kanals trug 1967 zum Ausbruch des Sechstagekriegs bei. Die arabischen Staaten fürchteten, eine zum Blühen gebrachte Wüste werde Israel unzerstörbar machen. Dass das Wasser im Kanal nun zurückfließen soll, erzeugt nun ein diplomatisches Spiegelbild: Israel könnte fortan Jordanier und Palästinenser mit Wasser versorgen, und so die Beziehungen festigen. Das kostbare Nass mutiert so vom Kriegsgrund zum Antrieb regionaler Kooperation.
Am Anfang war die Angst vor Baulöwen
So zumindest sieht es Bromberg. Eigentlich war es die Angst vor den Folgen eines Friedens, die ihn vor 25 Jahren EcoPeace gründen ließ. Damals planten Israel und Jordanien, die Ufer des Toten Meeres massiv zu bebauen. „Niemand überdachte die verheerenden ökologischen Konsequenzen“, sagt Bromberg. Er mobilisierte Palästinenser und Jordanier, um das Tote Meer zu retten. Doch der Frieden blieb aus. Diplomatische Initiativen scheiterten, die mit Begeisterung begonnene Kooperation zwischen Israelis, Palästinensern und Jordaniern erstarb vor dem Hintergrund eskalierender Spannungen. Dutzende Friedensorganisationen schlossen ihre Türen.
Aber EcoPeace macht weiter, dank seiner Strategie. „Klar, innerhalb unserer Organisation sind wir nach Jahren der Zusammenarbeit Freunde, haben den Konflikt hinter uns gelassen“, sagt Bromberg. Doch „hier in Nahost handelt kein Staat aus Nächstenliebe“. Deshalb argumentiere EcoPeace stets mit harten realpolitischen Interessen. „Projekte können nur Fortschritte machen, wenn alle Akteure davon profitieren“, sagt Nada Maschdalani, Direktorin des palästinensischen Verbands. Die Natur und Verschmutzung machten vor Staatsgrenzen nicht halt. „Wenn ich die Probleme meines Volkes lösen will, muss ich deshalb mit Israelis kooperieren. Damit tue ich denen keinen Gefallen, sondern helfe mir selbst“, sagt die 35 Jahre alte Aktivistin. Mit diesem Argument gelingt es ihr, das Misstrauen auf der eigenen Seite auszuhebeln.
Erste große Erfolge haben sich bereits eingestellt
So kann die Organisation bereits auf große Erfolge verweisen. Südlich vom See zeigt Bromberg auf zwei enorme Rohre, aus denen frisches Wasser in den Jordan sprudelt. Der berühmte heilige Fluss war vor wenigen Jahren zur Kloake geschrumpft, nachdem Israel, Jordanien, Syrien und die Palästinenser seine Quellen anzapften und Abwässer einleiteten. Bromberg gelang es, alle Anrainer zu überzeugen, dass ein lebendiger Jordan für sie Prosperität bedeutet. Palästinensische, jordanische und israelische Bürgermeister sprangen in einer medienwirksamen Aktion gemeinsam in den Fluss, um ihre Regierungen zum Umdenken zu zwingen. Heute leitet Israel jährlich neun Millionen Kubikmeter Frischwasser in den Jordan, bald werden es 30 Millionen sein. Weiden werden entlang der ersten zehn Kilometer des Laufs in Israel gepflanzt.
Geht es nach Bromberg, ist das nur ein Anfang. Der Jordan soll zum Symbol des Friedens werden. Meerwasserentsalzung und das Recyceln von Wasser decken heute den Großteil von Israels Wasserbedarf, weitere Entsalzungsanlagen sind in Bau. Bald könnte Israel einen Überschuss haben und diesen an seine durstigen Nachbarn verkaufen. Das Wasser, das bald in den See Genezareth geleitet wird, soll in den Jordan abgelassen werden. Damit soll die Wassermenge, die Israel Jordanien liefert, auf 100 Millionen Kubikmeter verdoppelt werden. In Amman gibt es nur noch acht Stunden pro Woche fließendes Wasser.
Doch Bromberg will auch Jordanien stärken: „Jeder muss gewinnen.“ Wassermangel sei zu Energiemangel geworden. Strom könne Jordanien indes am billigsten liefern. Solarstrom aus den riesigen Wüsten des Königreichs koste 70 Prozent weniger als der Strom, der im dicht besiedelten Israel mit Gas erzeugt werde. Und da Israels Küsten zu kurz seien, um genügend Meerwasserentsalzungsanlagen zu bauen, werde auch Gaza Teil der Gleichung. „So haben alle etwas anzubieten: Israelis und Palästinenser Wasser, Jordanien Strom, und alle zusammen einen großen Binnenmarkt.“ Der Klimawandel lasse den Regierungen keine andere Wahl: „Entweder arbeiten alle zusammen oder wir gehen alle gemeinsam unter“, so Bromberg.
Gil Yaron aus Tel Aviv