Nach seinem haushohen Wahlsieg treibt der britische Premierminister Boris Johnson die Brexit-Vorbereitungen rasant voran. Gleichzeitig will er den Regierungsapparat völlig umkrempeln, wie Mitarbeiter in verschiedenen Sonntagszeitungen ankündigten. Unterdessen wuchs der Druck auf Labour-Chef Jeremy Corbyn, zurückzutreten.
Die britische Regierung will noch vor Weihnachten das Gesetz zum EU-Austritt wieder dem Parlament vorlegen. Der wichtigste Wählerauftrag laute, den Brexit zu vollziehen, sagte Vize-Finanzminister Rishi Sunak am Sonntag dem Sender BBC. Kurz nach dem Brexit-Gesetz werde die Regierung von Premierminister Boris Johnson ihren neuen Haushalt präsentieren. Johnson hat wiederholt angekündigt, Großbritannien am 31. Jänner aus der EU führen zu wollen.
Corbyns Reaktionszeit
Corbyn brauchte drei Tage, ehe er nach der größten Wahlschlappe seiner Partei seit mehr als 80 Jahren, einen Teil der Verantwortung dafür einräumte. Vielen Labour-Mitgliedern ging das nicht weit genug. Das neue Parlament soll schon am Dienstag zusammentreten. Am Donnerstag soll Königin Elizabeth II das neue Regierungsprogramm verkünden und über das EU-Austrittsabkommen soll schon Freitag abgestimmt werden. Die Zustimmung gilt angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse als reine Formsache.
Johnson plant Reformen
Dann will die Regierung sich großen Reformvorhaben widmen: Ministerien sollen zusammengelegt und der Beamtenapparat entschlackt werden. Milliardeninvestitionen in die Gesundheitsversorgung sollen per Gesetz festgeschrieben werden. Johnson kündigte im Norden Englands Freihandelsabkommen und Freihäfen an. Er will die desolate einstige Bergarbeiter- und Industrieregion in Mittel- und Nordengland neu beleben, wo viele Wahlkreise erstmals seit Generationen von Labour zu den Konservativen gewechselt waren.
Kritik am Wahlsystem
Dass die Konservativen bei der Parlamentswahl am vergangenen Donnerstag mit 43,6 Prozent Wähleranteil 56 Prozent der Sitze im Parlament errangen, bezeichneten Kritiker des Wahlsystems als Skandal. "Wegen unseres undemokratischen Systems sind die wahren Verlierer die Wähler", meinte Klina Jordan, Co-Vorsitzende der Organisation "Make Votes Matter" (etwa: Wählerstimmen sollen zählen). Das Ergebnis kommt zustande, weil in jedem Wahlkreis der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt und alle Stimmen für andere unter den Tisch fallen. Viele Briten setzen sich für ein Verhältniswahlrecht wie etwa in Deutschland ein, wo die Parteienstärke im Parlament in etwa dem prozentualen Stimmanteil bei der Wahl entspricht.
Die Konservativen legten etwa 1,2 Prozent beim Stimmanteil zu, Labour verlor 7,9 Punkte auf 32,1 Prozent. Johnsons Partei kommt auf 365 der 650 Sitze, Labour auf 203 Sitze. Labour-Chef Corbyn räumte in der Zeitung "Observer" ein, dass er einen Teil der Verantwortung trage.
Lisa Nandy will übernehmen
Der 70-Jährige beharrte aber darauf, dass die Partei auf die drängendsten Fragen die richtigen Antworten habe. Darauf sei er stolz. "Das zeigt, dass er nicht gewillt ist zu verstehen, warum wir so eine katastrophale Niederlage erlitten haben", twitterte die prominente Labour-Politikerin Harriet Harman. "Er sollte zurücktreten." Auch andere Labour-Politiker drängten Corbyn zu gehen. Der Parteichef will bis zum Frühjahr im Amt bleiben. Die Abgeordnete Lisa Nandy (40) erklärte in einer BBC-Polit-Talkshow am Sonntag ihre Bereitschaft zur Nachfolge.