Das zweite Kabinett von Italiens Premier Giuseppe Conte feiert am Freitag seine ersten 100 Tage im Sattel, doch die Regierung weist bereits tiefe Risse auf. Täglicher Streit bei Verhandlungen um das Budget 2020, Divergenzen über Regierungsprogramm und Reformen nagen am Zusammenhalt des Kabinetts. Immer mehr Italiener fragen sich, wie es in Rom weitergehen soll.
Bis vor vier Monaten waren sie noch Erzfeinde, jetzt müssen sie zusammenarbeiten. Die populistische Fünf Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten (PD) hatten sich im September auf ein Programm geeinigt, mit dem sie Italien noch bis Ende der Legislatur 2023 regieren wollten. Die politischen Anliegen der beiden Parteien sind zwar ähnlicher als jene der Ex-Partner Fünf Sterne und Lega, die Italien von Juni 2018 bis August regiert hatten, an Konfliktstoff mangelt es jedoch nicht. Täglich zanken sich die Regierungsparteien, und darunter leidet Premier Conte immer mehr.
Budgetverhandlungen als Kräftemessen
Die Verabschiedung des Budgets, das noch bis Ende dieses Jahres in beiden Parlamentskammern durchgesetzt werden muss, ist zu einem zermürbenden Kräftemessen unter den Regierungsparteien geworden, zu der jetzt auch die Mitte-Links-Kraft "Italia viva" gehört. Diese ist durch den Austritt von Expremier Matteo Renzi aus der PD entstanden, die er fünf Jahre lang als Parteichef geführt hatte.
Während die Fünf Sterne-Bewegung stark ökologische Positionen vertritt und auf die Einführung einer Plastiksteuer drängt, stellt sich die Renzi-Partei auf die Seite der Plastikproduzenten, die sich hartnäckig gegen Abgaben für die Plastikherstellung wehren. Umstritten ist außerdem eine Zuckersteuer, die die Fünf Sterne-Bewegung auf Softdrinks einführen will. Ebenso die lange erwartete Justizreform, das Wahlrecht und die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM sorgen für Dauerstreit unter den Regierungskräften.
Verhärtete Fronten
Die Fronten sind verhärtet, der Konflikt unter den Koalitionsparteien nagt an der Popularität des parteilosen Premiers Conte, der all seine Energien dafür aufwenden muss, die Streithähne in seiner Regierungsallianz zur Kooperation zu zwingen. Die Popularität Contes ist zusammen mit jener der Fünf-Sterne-Bewegung gesunken. In dieser schwierigen Lage will Conte zu Gegenmaßnahmen greifen. So kündigte er nach Verabschiedung des Budgets einen Gipfel der Regierungsparteien im Jänner an. Ziel sei, ein neues Regierungsprogramm mit Reformen zu entwerfen, die bis Ende der Legislaturperiode 2023 umgesetzt werden sollen. Laut Conte sei nicht allzu viel an dem im September bereits vorgestellten Koalitionsplan zu ändern. Die Parteien sollten jedoch festlegen, welche Reformen prioritär seien.
Die Regierungskräfte fiebern inzwischen den am 26. Jänner geplanten Regionalwahlen in der Emilia Romagna und in Kalabrien entgegen. Besonders in der Emilia Romagna könnten die Sozialdemokraten eine schmerzliche Niederlage durch die rechte Lega von Matteo Salvini erleiden. Salvini setzt all sein politisches Gewicht für den Sieg seiner Kandidatin Lucia Borgonzoni in dieser traditionell linken Region ein. Sollte die Lega den Durchbruch in der roten Hochburg Emilia Romagna schaffen, könnte Salvini seiner Forderung nach Neuwahlen im Frühjahr mehr Gewicht verleihen.
"Volk der Sardinen" begehren auf
Gegen den Erfolgsmarsch der Lega stemmt sich das "Volk der Sardinen". Dabei handelt es sich um eine spontan entstandene Protestbewegung, die sich gegen Salvinis Rechtspopulismus wehrt. Seit Wochen demonstrieren die "Sardinen" in verschiedenen Städten gegen die Lega. Am kommenden Samstag ist eine Großkundgebung in Rom geplant, zu der Zehntausende Demonstranten erwartet werden. Premier Conte beobachtet mit Interesse die Entwicklung dieser Bewegung. "Ich sehe, dass sich an den Protestkundgebungen viele Jugendliche beteiligen. Ich finde das durchaus positiv", kommentierte Conte. Ob der Anti-Salvini-Protest der Stabilität seines wackeligen Kabinetts zugute kommen wird, ist jedoch durchaus fraglich.
Micaela Taroni/APA