Jetzt ist es tatsächlich passiert. Die Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat den zuständigen Ausschuss im Unterhaus des Kongresses beauftragt, ein Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trump wegen der Ukraine-Affäre einzuleiten. Unmittelbarer Anlass war die Veröffentlichung eines Zwischenberichts des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, in dem Trump signifikantes Fehlverhalten, Gefährdung der nationalen Sicherheit, sowie Einschüchterung von Zeugen vorgeworfen wird.
Der Hintergrund
Trump hatte laut Bericht in einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Juli gebeten, Ermittlungen gegen den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden und dessen Sohn Hunter zu erwägen.
Unter der Demokratischen Opposition in Washington DC kommt dennoch keine rechte Freude auf. Amtsenthebungsverfahren polarisieren, sind langwierig und haben allgemein wenig Aussicht auf Erfolg. Diese fehlende Euphorie hat eine lange Tradition in den USA.
Schon 1805 schrieb der amerikanische Kongressabgeordnete Henry St. George Tucker verbittert an einen Parteikollegen, nachdem der US-Senat im März desselben Jahres, einen Richter des Obersten Gerichtshofs, Samuel Chase, freigesprochen hatte: „Der Himmel bewahre uns vor noch einem Amtsenthebungsverfahren.“
Es war das erste Mal in der US-Geschichte, dass das Oberhaus, der Senat, darüber abstimmte einen hohen Beamten, der dazu noch einer der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung war, seines Amtes zu entheben. Chase wurde von den Republikanern, die damals die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat innehatten, in acht Anklagepunkten standeswidriges Verhalten und Amtsvergehen vorgeworfen. Tucker, ein Republikaner, zeigte sich in dem Brief empört darüber, dass sich nicht mehr seiner Amtskollegen für die Absetzung von Chase durchgerungen hatten. Mitglieder der Opposition, die Föderalisten, hingegen, sahen hinter dem Verfahren ein abgekartetes politisches Machtspiel der Republikaner, die durch Chase’ Amtsenthebung ihren politischen Einfluss in der Judikatur stärken wollten.
Geht das?
Langfristig wichtiger war jedoch, dass sich 1805 unter den Politikern und Rechtsgelehrten zwei Gruppen bildeten, die unterschiedlich die Amtsenthebungsartikel in der US-Verfassung interpretierten. Es ging um die Frage, ob ein Präsident oder hoher Beamter seines Amtes enthoben werden kann, ohne eine Straftat begangen zu haben.
Hier ist die US-Verfassung bis heute nicht eindeutig. Der Präsident und andere Amtsträger können abgesetzt werden, wenn ihnen Verrat, Bestechung, oder andere „high Crimes and Misdemeanors“ („hohe Verbrechen und Vergehen“) nachgewiesen werden können. Die ersten zwei Punkte sind leicht zu interpretieren; die letzten zwei schwieriger. Der Ursprung der Phrase „high Crimes“ liegt im 15. Jahrhundert im englischen Parlament und ist nicht mit „schweren Verbrechen“ gleichzusetzen. Vielmehr bezeichnet „high“ die hohen präsidentiellen Befugnisse eines Präsidenten, die es erst ermöglichen, das Amt zu missbrauchen.
Zum Beispiel kann kein Normalbürger die Überwachung politischer Gegner durch das FBI anordnen (wie Richard Nixon es tat), oder fremde Mächte auffordern gegen politische Kontrahenten zu ermitteln (wie Trump jetzt vorgeworfen wird).
In diesem Sinne muss der Präsident laut einer Interpretation der Verfassung keine konkreten gesetzlichen Vorschriften verletzt haben, um ein Verfahren einzuleiten und es muss auch keine Schuld im strafrechtlichen Sinne nachgewiesen werden. Machtmissbrauch muss also nicht zwangsläufig Gesetzesbruch bedeuten.
Doch dieser Punkt wird nach wie vor debattiert. Nancy Pelosi meinte noch 2017, dass ein Präsident nicht angeklagt werden kann, ohne eine Straftat begangen zu haben. Der Republikaner und spätere Präsident Gerald Ford argwöhnte 1970 zynisch zur Amtsenthebungsdebatte: „Was ist dann ein anklagbares Vergehen? Die einzige ehrliche Antwort ist, dass ein anklagbares Vergehen das ist, was immer die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte als solches erachtet.“ Fords Aussage deutet auf die eigentliche Ursache der Diskrepanz hin: Amtsenthebungsverfahren waren immer mehr politische als juristische Prozesse.
Das Prozedere
Eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus beschließt ein Verfahren einzuleiten. Das eigentliche Gerichtsverfahren findet dann im Senat statt, wo in einem zweistufigen Prozess über die Amtsenthebung des Präsidenten entschieden wird. Zwei Drittel der Senatoren, 67 Abgeordnete, müssen dafür stimmen. Seit 1967 das letzte Mal eine Partei eine Zweidrittelmehrheit im Senat innehatte, bedeutet dies, dass eine große Zahl Senatoren gegen die eigene Partei stimmen müsste, eine Hürde über die sich nur wenige bis dato drüber wagten. Im jetzigen Fall, wo Trumps Beliebtheitswerte unter republikanischen Wählern bei über 90 Prozent liegt, ist das noch schwerer vorstellbar. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum noch nie ein US- Präsident durch ein Amtsenthebungsverfahren abgesetzt wurde. 1868 scheiterte dies gegen den Präsidenten Andrew Johnson wegen einer Stimme. Bill Clinton wurde 1999 des Meineids und der Behinderung der Justiz bezichtigt. In beiden Fällen stellte sich nur eine kleine Zahl Republikaner und Demokraten gegen die Parteilinie.
Die Ausnahme war Richard Nixon 1974: Damals war sich die Mehrheit der Abgeordneten beider Parteien im Repräsentantenhaus und im Senat einig, dass der Präsident des Amtsmissbrauchs und der Strafvereitelung schuldig ist. Nixon kam einer Anklageerhebung zuvor und trat zurück.
Wenig Aussicht auf Erfolg
Das jetzige Verfahren gegen Trump hat wenig Aussicht auf Erfolg, und es ist politisch riskant. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton schadete den Republikanern enorm, und der damalige Präsident des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, Clintons Erzfeind, musste sogar zurücktreten. Die andauernde Polarisierung, die steigende Radikalisierung beider politischen Lager, der Vorwahlkampf sowie die langsame Aushöhlung institutioneller Normen, ließ Nancy Pelosi diese Woche aber wenig Wahl. Tuckers Himmelswunsch aus dem Jahre 1805 nach keinen weiteren Verfahren wird vorerst unerfüllt bleiben.
Franz-Stefan Gady aus New York