Jetzt, gegen Ende seiner langen politischen Laufbahn, machte ihm doch die Gesundheit zu schaffen. Jean-Claude Juncker, der im Sommer schon seinen traditionellen Tirol-Urlaub wegen einer Gallenoperation hatte abbrechen müssen, war erst am Montag nach einem Eingriff wegen eines Aneurysmas in sein Büro zurückgekehrt. Um beim Aufräumen und Sortieren des Inventars zu helfen. Juncker tritt am Ende dieser Woche von der großen europäischen Bühne ab, er übergibt den Chefposten der Europäischen Kommission an Ursula von der Leyen.
Jahrzehntelang hatte der Luxemburger in maßgeblichen Funktionen gearbeitet, fast 20 Jahre als Premierminister, jahrelang als Chef der Eurogruppe und schließlich als Präsident der EU-Kommission, der er einen politischen Stempel aufdrückte. Vieles gelang ihm, vieles nicht – eine Bilanz.
Das ist schlecht gelaufen:
Jean-Claude Juncker wollte eigentlich Ratspräsident werden, im Kreise der anderen Staats- und Regierungschefs hatte er sich stets wohlgefühlt. Als er dann an die Spitze der wichtigsten EU-Behörde rückte (gegen die Stimmen von David Cameron und Fraktionskollege Viktor Orbán, worauf er heute noch stolz ist), trat er seinen Dienst mit einem dramatischen Leitspruch an: „Die Kommission der letzten Chance“ versprühte nicht gerade Optimismus, auf gewisse Weise sollte der schlaue Fuchs aber recht behalten.
Europa geriet in Schwierigkeiten. Die konnte man natürlich nicht der EU-Kommission an sich anlasten, sie brachten aber Juncker und seine Leute an ihre Grenzen. Und so zählt der scheidende Präsident heute selbst Fehler auf, die viel mit Zögern und Zaudern zu tun haben: In der „Luxleaks“-Affäre (internationale Konzerne konnten auf Kosten anderer EU-Länder in Luxemburg Steuerzahlungen vermeiden) habe er etwa zu lange geschwiegen. Einer der größten Fehler überhaupt war aus seiner Sicht, dass er vor dem Brexit-Votum der Briten der Bitte David Camerons entsprochen habe, sich nicht in britische Angelegenheiten einzumischen.
Dann kam die Migrationswelle, Europa wurde von Flüchtlingen überrannt und die EU geriet aus den Fugen. Die Aufspaltung zwischen Ländern mit hartem Kurs (Italien, Ungarn, Polen usw.) zu den toleranteren Mitgliedsstaaten wurde größer, Schengen und die Grenz-Regimes gerieten aus dem Takt. Bis heute kam die EU aus diesem Thema nicht mehr heraus, die dringend nötige Dublin-Reform (zur Aufteilung bzw. dem Umgang mit Asylsuchenden) hängt an zwei offenen Kapiteln fest und kommt nicht weiter, die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Außenpolitik ist schon auf die Agenda der neuen Kommission gerutscht. Stattdessen sind Populismus und Nationalismus gewachsen, Rechtsstaatlichkeitsverfahren (gegen Polen und Ungarn) wurden eingeleitet, große Länder wie Italien oder Frankreich scheren immer wieder aus.
Ebenfalls nicht gelungen ist die Wiedervereinigung Zyperns und der Rahmenvertrag mit der Schweiz (weiterhin bei Johannes Hahn angesiedelt), der mehrjährige Finanzrahmen ist im Verzug – und viele Reformen sind ausständig.
Das ist gut gegangen:
Er wirkte, schrieb die „NZZ“ über Juncker, ein wenig wie aus der Zeit gefallen; skurrile Redewendungen und Witze, die man erst im zweiten Anlauf verstand, ein uraltes Nokia-Handy als Antithese zur volldigitalen Twitteria und das regelmäßige Abweichen von Redemanuskripten ließen viele die Stirn runzeln; Juncker, starker Raucher und auch dem Alkohol nicht abgeneigt – was ihn aber definitiv in der Amtsführung nicht beeinträchtigte; wenn er in der Öffentlichkeit angeschlagen wirkte, war dies tatsächlich auf sein schweres Ischiasleiden nach einem Autounfall zurückzuführen – hat eine hohe Sozialkompetenz, ein besonderes Gespür für Menschen und Befindlichkeiten.
Er schaffte es, Donald Trump im Handelsstreit zu besänftigen, er hielt solange den Laden zusammen, bis Griechenland seine Krise mit Hilfe der EU überwinden konnte, er kann stolz von seinem Beitrag dazu berichten, dass während seiner Amtszeit in Europa bis zu 14 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden und sich die Wirtschaft gut hält. Die Griechenlandkrise habe gezeigt, dass sich Europa mit politischem Willen, Einigkeit und Entschlossenheit weiter entwickle, schloss der scheidende Präsident. Besonders deutlich wurde das im Zuge des Brexit: Die EU-27 rückten zusammen und ließen sich nicht auseinanderdividieren.
Auf der Liste der Erfolge stehen auch viele Neuerungen, die für die Bürger wahrnehmbar sind: Ende der Roaming-Gebühren, Verbot von Einwegplastik, Datenschutz-Grundverordnung oder Entsenderichtlinie sind Beispiele aus jüngster Zeit – zustande gekommen natürlich auch im Zusammenspiel mit Parlament und Rat. Nicht so eindeutig ist die Bilanz des Investitionsfonds EFSI, der unter dem Titel „Juncker-Plan“ Investitionen von 440 Milliarden Euro angestoßen hat. Ob die Effizienz tatsächlich gegeben ist, darüber streiten sich die Experten. Die Kommission zeigte sich auch stark gegenüber den US-Konzernen und verhängte mehrfach Milliardenstrafen.
Entgegen der Wahrnehmung vieler reduzierte Juncker auch die Flut an Gesetzesvorschlägen enorm, um 80 Prozent. Juncker war bisher übrigens der erste und einzige „Spitzenkandidat“, der es ins Amt schaffte.