Die junge, attraktive Frau mit einer Wimpernzange in ihrer Hand begrüßt ihr Publikum mit unaufgeregter, fast gleichgültiger Stimme, und kündigt an, worum es heute gehen soll: "Hi Leute, heute zeige ich euch, wie ihr lange Wimpern bekommen könnt."

Es ist eines dieser oft hochformatigen Videos aus sozialen Medien, das bei unzähligen jungen Menschen für die kleinen Glücksmomente des Tages sorgt. Auf der Streamingplattform ihrer Wahl findet sich ein maßgeschneidertes Potpourri von Influencern und Inhalten. Schminktipp-Videos gehören zu den Evergreens. Sie vereinen Selbstoptimierung mit leicht erreichbaren Resultaten, sind ideal für Produktplatzierungen und politisch unverfänglich.

Die 17-Jährige mit der Wimpernzange heißt Feroza Aziz und lebt in den USA. Das Video, das sie jüngst bei der chinesischen Plattform Tiktok veröffentlicht hat, wurde gelöscht, ihr Konto gesperrt. Denn Aziz spricht nur kurz über Wimpern. Danach ruft sie ihr Publikum auf, im Netz zu recherchieren, wie die chinesische Regierung Muslime in "Konzentrationslager" sperre, diese dort misshandle, vergewaltige und töte.

"Umerziehungsmaßnahmen"

Menschenrechtsorganisationen zufolge werden mehr als eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang in Lagern festgehalten. China dementiert und spricht von Umerziehungsmaßnahmen als Reaktion auf die Bedrohung durch Islamismus.

Derart regimekritische Töne werden in China für gewöhnlich zensiert. Die „geschminkte Kritik“ Aziz’ aber schlüpfte durch das engmaschige Netz der Zensoren und erreichte ein Millionenpublikum – auch in China. Als das Regime den Fehler bemerkte, wurde die Löschung nachgeholt. Bei Tiktok begründete man das zunächst damit, dass auf dem Konto in der Vergangenheit islamistische Botschaften verbreitet wurden. Mit den ungewöhnlichen Schminktipps habe das nichts zu tun.

Redebedarf

Mittlerweile hat sich das Unternehmen, das rund 500 Millionen Nutzer hat, entschuldigt. Das Konto von Aziz blieb gesperrt. „Niemand von Tiktok hat sich bei mir gemeldet, oder auf meine Anfragen reagiert", klagt die junge Muslima. "Dabei sollten sie gerade mit mir sprechen."

Eingeschüchtert sei sie aber nicht. Aziz will weiterhin ihre Anliegen thematisieren. „Ich werde über Missstände sprechen – auf jeder Plattform." Denn in China finde ein neuer "Holocaust" statt – "und niemand spricht darüber."