Sonntag früh waren Schüsse rund um die Stadt Ras al Ain zu hören, die von der Türkei unterstützte syrische Rebellen schon am Samstag angegriffen hatten. In den Außenbezirken der rund 120 Kilometer westlich gelegenen Stadt Tel Abjad schlugen Haubitzen-Geschoße ein, wie ein Zeuge aus der benachbarten türkischen Stadt Akcakale berichtete. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge eroberten türkische Streitkräfte und ihre Verbündeten große Teile der syrischen Stadt Suluk.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass mehr als 130.000 Menschen aus den ländlichen Gebieten rund um Ras al Ain und Tel Abjad auf der Flucht sind. Bis zu 400.000 Menschen in den umkämpften Gebieten benötigten Hilfe und Schutz, teilte die UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten am Sonntag mit. Dem türkische Verteidigungsministerium zufolge wurden seit Beginn der Offensive 480 YPG-Kämpfer getötet.
Angehörige von IS-Kämpfern geflohen
Fast 800 Angehörige von Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind nach jüngsten Angaben der kurdischen Behörden aufgrund der türkischen Militäroffensive aus einem Gefangenenlager im Norden Syriens geflohen. 785 Frauen und Kinder seien aus der Einrichtung in Ain Issa entkommen, teilte die Verwaltung der halbautonomen Kurdenregion mit.
Ein Anführer des kurdisch-geführten Rebellenbündnisses SDF, gegen das sich die türkische Offensive richtet, sagte, es gebe nicht genug Wachpersonal, nachdem Kämpfer an die Front beordert worden seien. Weitere Sicherheitskräfte seien nach dem Beschuss durch das türkische Militär weggelaufen. In Ain Issa, das in der Nähe der ebenfalls umkämpften Stadt Tel Abjad liegt, gebe es nur noch 60 bis 70 Sicherheitskräfte, im Vergleich zu normalerweise rund 700. Insgesamt leben in dem Lager 12.000 Menschen, darunter auch Familien von IS-Kämpfern.
Breite internationale Kritik
Die Militäroffensive der Türkei trifft auf breite internationale Kritik. Frankreich und Deutschland stoppten neue Waffenexporte an den NATO-Partner. Der britische Premierminister Boris Johnson mahnte, die Offensive könne die humanitäre Lage in Syrien verschlimmern und den Kampf gegen den Islamischen Staat unterminieren. Einem Sprecher zufolge forderte er den türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan am Samstagabend in einem Telefongespräch auf, die Kämpfe zu beenden und in einen Dialog zu treten. Bisher hat Erdogan ein Ende der Offensive abgelehnt.
Die Türkei will entlang der Landesgrenze auf syrischem Gebiet eine 30 Kilometer tiefe sogenannte Sicherheitszone errichten und verlangt den Abzug der Kurden-Miliz aus dem Gebiet. Dort sollen dann bis zu zwei Millionen in die Türkei geflohene meist arabische Syrer angesiedelt werden. Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden auf eigenem Territorium.