Die Entscheidung lag seit Monaten in der Luft. Jetzt, nicht einmal zwei Wochen nach der Bildung der neuen italienischen Regierung unter Premier Giuseppe Conte, ist es so weit. Matteo Renzi, ehemaliger Ministerpräsident und Ex-Parteichef der Demokratischen Partei (PD), spaltet sich von den Sozialdemokraten ab. In einem am Dienstag erschienenen Interview mit der Tageszeitung „La Repubblica“ begründete der 44-Jährige seine Entscheidung, im Abgeordnetenhaus eine eigene Fraktion zu bilden. Er denke, dass die „selbstreferenzielle Suche nach Einheit“ bei den Sozialdemokraten und deren „akribische Organisation in Einzel-Strömungen nicht mehr funktioniert“. Der Partito Democratico habe „keine Zukunftsvision“, der Austritt sei „gut für alle“.
Befürchtungen, seine Abspaltung könne die Stabilität der Regierung von PD und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung beeinträchtigen, wies Renzi zurück. Er habe Premier Conte in einem Telefonat am Montagabend seine Unterstützung zugesagt. Nach der Aufkündigung der Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega hatte Renzi im August selbst überraschend die Auflage einer Links-Koalition zwischen PD und Sternen ins Spiel gebracht und damit den Grundstein zur Entmachtung von Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini gelegt. Salvini hatte Neuwahlen und „alle Vollmachten“ von den Italienern angestrebt. „Es war eine taktische Meisterleistung, Salvini mit den Instrumenten der parlamentarischen Demokratie in die Ecke zu drängen“, sagte Renzi.
Der Ex-Ministerpräsident erwog schon seit Längerem eine Abspaltung von den Sozialdemokraten. Das Verhältnis zur neuen Parteiführung unter Nicola Zingaretti galt als problematisch. Zingaretti bezeichnete Renzis Schritt als „Fehler“. „Sagen wir, wie es ist: Für eine kulturelle Strömung der italienischen Linken bin ich ein Eindringling“, sagte Renzi, der als Ministerpräsident von 2014 bis 2016 eine umstrittene Arbeitsmarktreform durchsetzte und den Kündigungsschutz beschnitt, um mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen.
Parallelen zu Macrons "En Marche"
Unter Zingaretti rückte der PD, der sich aus früheren Mitgliedern der kommunistischen Partei ebenso wie aus Ex-Christdemokraten zusammensetzt, wieder nach links, der ehemalige Christdemokrat Renzi verlor zunehmend an Einfluss. Dem Vernehmen nach sei sein Lager bei der Regierungsbildung nicht mit genügend Posten belohnt worden.
Als Parteichef des Partito Democratico bestimmte Renzi vor den Parlamentswahlen 2018 noch einen Großteil der Abgeordneten. Beim Austritt wollen ihm nun etwa 25 Parlamentarier des Abgeordnetenhauses sowie rund 15 Senatoren folgen. Der PD verfügte bislang über 111 Abgeordnete und 51 Senatoren. Damit bestimmt der Ex-Premier weiterhin über den Fortbestand der Regierung mit. Bei den kommenden Parlamentswahlen, die laut Renzi „hoffentlich 2023“ zum Ende der Legislatur stattfinden, will der Toskaner dann erstmals mit seiner neuen Partei antreten, die „Italia viva“ („Lebendiges Italien“) heißen soll.
Das Projekt erinnert an die 2016 von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron gegründete Bewegung „En Marche“, der damals eine zentrumsnahe, liberale und proeuropäische politische Kraft ins Leben rief, oder an die spanischen „Ciudadanos“. In Italien scheint Renzi es unter anderem auf die Wählerschaft Silvio Berlusconis abgesehen zu haben, dessen Forza Italia früher den von den nach dem Korruptionsskandal Mani pulite 1992 untergegangenen Christdemokraten besetzten Platz in der politischen Mitte innehatte, aber in den vergangenen Jahren immer mehr an Boden verlor. Meinungsforschern zufolge könnte der in Italien inzwischen eher unbeliebte Renzi gegenwärtig bei Wahlen mit fünf bis acht Prozent der Stimmen rechnen.
Renzi ließ sich 2013 zum Parteichef des PD wählen und machte sich bereits damals beim linken Parteiestablishment unbeliebt, weil er versprach, die Alt-Politikerriege zu „verschrotten“. Als Parteichef und Ministerpräsident setzte er eine straffe Reformagenda durch, führte den Partito Democratico bei der EU-Wahl auf bis zu 41 Prozent, erlebte anschließend aber einen brüsken Stopp seiner Ambitionen. Bei einer Volksabstimmung im Dezember 2016 über eine von ihm vorgebrachte Verfassungsänderung erlitt Matteo Renzi eine schwere politische Niederlage und trat als Premier zurück.