Rund 13 Boote in einer Stunde: Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle vor vier Jahren kamen nicht mehr so viele Migranten auf den griechischen Inseln an wie jetzt. Mit einem Sieben-Punkte-Plan will die Regierung in Athen nun die Krise entschärfen.
Dabei soll die Türkei helfen. Aber ob die mitspielt, ist fraglich: Lässt Staatschef Recep Tayyip Erdoan den Schleusern freie Hand, um die EU unter Druck zu setzen?
Seit Anfang 2019 sind rund ein Drittel weniger Menschen über das Mittelmeer in die EU gekommen als im Vorjahreszeitraum: Rund 46.500 Ankömmlinge wurden bis Ende August gezählt, gegenüber 68.000 im Vorjahr. In Italien ging die Zahl besonders deutlich zurück, nämlich um 75 Prozent. Dafür kommen immer mehr Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsmigranten nach Griechenland: In den ersten acht Monaten setzten 24.000 Menschen zu den Ägäisinseln über. 6500 waren es allein im August – ein Anstieg von 123 Prozent gegenüber 2018.
Moria
Am Donnerstag war der Andrang so groß wie nie zuvor seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015: Auf der Insel Lesbos trafen in nur einer Stunde 547 Menschen in 13 Schlauchbooten ein. Die Menschen wurden in das bereits völlig überfüllte Aufnahmelager Moria gebracht, wo sie nun auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten müssen – was Jahre dauern kann. In Griechenland sind derzeit 67.000 Anträge anhängig. Die Asylbehörde kann aber pro Monat nur 2400 Fälle bearbeiten. Deshalb wird die Warteliste immer länger.
Und mit ihr wächst die Überfüllung in den Lagern. Moria ist für die Unterbringung von 3000 Personen ausgelegt, beherbergt aber mehr als das Dreifache. Darunter sind 520 unbegleitete Minderjährige. Sie leben in einem abgetrennten Teil des Camps, das nur für die Unterbringung von 160 Personen konzipiert ist.
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef appellierte an die Regierung und auch an die EU, mehr für den Schutz dieser Kinder zu tun. Vor zwei Wochen wurde in Moria ein 15-Jähriger bei gewaltsamen Auseinandersetzungen getötet, zwei weitere Kinder verletzt.
Insgesamt warten auf den Ostägäischen Inseln mehr als 24.000 Flüchtlinge und Migranten – in Lagern, die eine Aufnahmekapazität von 7800 haben. Nicht nur auf den Inseln wächst der Andrang. Seit Jahresbeginn kamen rund 7600 Menschen über die Landgrenze aus der Türkei nach Griechenland.
In einer Krisensitzung des Kabinettsausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik beschloss die griechische Regierung am Samstag einen Sieben-Punkte-Plan, um die Krise zu entschärfen. Zu den Maßnahmen gehören der Transfer von Asylbewerbern aus den überfüllten Insellagern aufs Festland, eine bessere Überwachung der Seegrenze zur Türkei in Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die Beschaffung neuer Patrouillenboote und eine Änderung der Asylgesetze.
Um die Verfahren zu beschleunigen, sollen die Einspruchsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden. Erstinstanzlich abgelehnte Asylbewerber sollen unverzüglich in die Türkei zurückgeschickt werden, wie es die 2016 zwischen der EU und Ankara geschlossene Flüchtlingsvereinbarung vorsieht.
Offen ist aber, ob die Türkei dabei mitmacht. Griechische Regierungskreise äußern inoffiziell den Verdacht, Ankara lasse die Schleuser gewähren, um Druck auf die EU zu machen. Im Rahmen der Flüchtlingsvereinbarung hatte die EU der Türkei eine Aufhebung der Visumspflicht für türkische Staatsbürger versprochen. Das wurde bisher nicht umgesetzt. Das Athener Außenministerium bestellte Ende vergangener Woche den türkischen Botschafter ein. Außenminister Nikos Dendias habe ihm sein Missfallen angesichts der steigenden Migrantenzahlen mitgeteilt und ihn an die Verpflichtungen der Türkei aus der Flüchtlingsvereinbarung erinnert. Der Botschafter habe versichert, sein Land halte sich an die Vereinbarungen, heißt es im Außenministerium.