Und die verhängnisvolle Endlosspirale, in der sich Großbritannien bereits seit dem EU-Mitgliedschaftsreferendum vom 23. Juni 2016 befindet, dreht sich weiter: Heute kehrt das britische Parlament aus seiner Sommerpause zurück – die Kraftprobe zwischen Regierung und Parlament rund um den Brexit dürfte heftig hochkochen. Das Damoklesschwert hängt tief über dem keineswegs Vereinigten Königreich.
Mit oder ohne Deal, das ist die Frage
Für Premierminister Boris Johnson sind die Zielkoordinaten klar und unverhandelbar: Raus aus der Europäischen Union per 31. Oktober, gegebenenfalls auch ohne "Deal", also ohne entsprechenden Scheidungsvertrag mit Brüssel. Allein: Sein eindimensionaler Kurs steht auf wackeligen Beinen. Zwar hat Johnson die sonst zweiwöchige Sitzungspause des Parlaments ab Mitte September machttaktisch gewieft auf rund vier Wochen bis zum 14. Oktober verlängert. Er dürfte hoffen, so freie Bahn für das Durchboxen seines Plans zu bekommen. Die Zeit läuft somit eher gegen jene, die "Bojo" noch stoppen wollen.
Ganz so einfach ist die Sache freilich nicht: Die Opposition und einige konservative Rebellen wollen den Mann in Downing Street 10 per Gesetz zwingen, in Brüssel eine erneute Verschiebung des Brexit-Datums zu beantragen. Ein Treffen, das die No-Deal-Gegner unter den Tories mit Johnson forderten, sagte dieser kurzerhand ab – wohl nicht aus Terminnot.
Eben diese Abtrünnigen in den eigenen Reihen hat Johnson längst im Visier: Ihnen dürfte angedroht worden sein, aus der Partei ausgeschlossen zu werden und bei Wahlen nicht mehr für die Konservativen antreten zu dürfen, sollten sie nicht einlenken. Der führende Tory-Rebell Rory Stewart nahm gar das Wort "Erpressung" in den Mund – und warnte den Parteichef. Diktatur nennen es Johnsons Feinde, andere sehen bloß das erwartbare Fortschreiben seiner Wir-gegen-diese-EU-Politik.
Es gibt noch andere Szenarien: Um Johnson seinen Weg zu einem ungeregelten EU-Austritt zu verbauen, wären überdies ein Misstrauensvotum und der Sturz des Enfant Terrible möglich. Sogar Neuwahlen scheinen nicht ausgeschlossen, mehr noch: Immer häufiger ist mittlerweile davon die Rede. "Es ist nicht unmöglich, dass wir innerhalb weniger Tage gebeten werden, wieder zur Wahl zu gehen", bilanzierte jüngst Laura Kuenssberg, BBC-Politik-Redakteurin.
Neuwahlen für Johnson wohl kein Nachteil
Gegner mag Johnson sonder Zahl haben, überschaubare Sorgen muss er sich indes im Falle von Neuwahlen machen: Labour-Boss Jeremy Corbyn ist nach wie vor unpopulär. Auf mehr Zuspruch im Fall von Neuwahlen könnte die Brexit-Partei von Nigel Farage hoffen, die Austrittsabkommen ja offen ablehnt. Liegt die Wahl nach dem Brexit-Termin, verliert Farage allerdings (s)ein Kernthema.
Wirklich gewiss scheint im Moment nur eines: Die erbittertste parlamentarische Auseinandersetzung der letzten Jahrzehnte dürfte den gebeutelten Briten in den kommenden Wochen noch gewaltig einheizen. Man darf gespannt sein, was die Opposition heute als Kampfansage vorlegt.