Die rechtspopulistische AfD konnte in der Lausitz zuletzt besonders stark punkten. Der brandenburgische Landesparteichchef Andreas Kalbitz und der sächsische Spitzenkandidat Jörg Urban treten hier sogar gemeinsam auf. Beide werden in den ausgezehrten Orten, die seit der Wende besonders viel Wandel verdauen mussten, selbstbewusst als die künftigen Ministerpräsidenten vorgestellt. Bis vor Kurzem sah es auch so aus, dass die AfD in Brandenburg und in Sachsen jeweils stärkste Kraft werden würde und die CDU in Dresden und die SPD in Potsdam ihren Führungsanspruch nach jeweils 30 Jahren verlieren würde. Doch im Endspurt konnten der Brandenburger Dietmar Woidke und der Sachse Michael Kretschmer ihre Landesvaterrolle doch noch ausspielen. Beide haben nun in den Umfragen wieder die Nase vorn. Das Problem der Unzufriedenheit aber bleibt – wie auch das Überraschungspotenzial, denn noch haben sich ein Drittel der Wähler nach eigener Aussage noch nicht entschieden.
Lausitz kämpft mit dem Strukturwandel
So zieht in der Lausitz das Thema Umweltschutz – aber anders, als es die anderen Parteien planen. Die Lausitz werde zunehmend vom „Öko-Wahn“ abgewickelt, sagt Kalbitz und fährt damit die Linie seiner Partei, die der Theorie vom menschengemachten Klimawandel skeptisch gegenübersteht. Er setzt lieber auf gut bezahlte Jobs im Tagebau. „Die Braunkohlevorkommen in Brandenburg reichen für 1000 Jahre“, betont Kalbitz. Die AfD tröste die Seele, sagt ein hochrangiger AfD-Politiker aus Sachsen. Dabei sei das Mittel der Provokation durchaus legitim, findet er.
In der Lausitz zog das bei den Europawahlen und auch bei den letzten Abstimmungen auf kommunaler Ebene. In Heinersbrück erreichte sie 38,8 Prozent, in Jänschwalde 36,4 und am besten schnitt sie bei Spremberg ab mit 42,6 Prozent. Dabei hat Spremberg sogar eine Bürgermeisterin, die parteilos ist, also nicht in einer „Altpartei“ ist, wie die AfD die politische Konkurrenz despektierlich nennt. Christine Herntier saß sogar in der Kohlekommission und hat für ihre Stadt konkrete Projekte. Dass die Milliardenhilfe noch zum Umdenken führt am Wahlsonntag, schließt sie aber aus. Die Menschen wollten erst konkrete Ergebnisse sehen, sagt sie.
Die SPD in Brandenburg hat ebenso wie die CDU in Sachsen seit der deutschen Wiedervereinigung ununterbrochen regiert. Beide Parteien werden in ihren Ländern als inhaltlich und personell ausgelaugt wahrgenommen. In den vergangenen Monaten agierten die Regierenden in beiden Bundesländern nicht sehr geschickt. Der sozialdemokratische Innenminister von Brandenburg etwa empörte bei einer Veranstaltung in der deutsch-polnischen Grenzstadt Frankfurt (Oder) die Zuhörer mit dem Satz: „Nicht einmal Flüchtlinge wollen nach Frankfurt.“ Es wurde deshalb auch besonders kritisch bewertet, weil Karl-Heinz Schröter früher Landrat dort war und daher mitverantwortlich für die Entwicklung der Oderregion war.
Zuwanderung nicht mehr das einzige Thema der AfD
Das Thema Zuwanderung ist für die AfD noch immer ein Thema, aber die Ultrarechten haben erkannt, dass sich aus den anderen Versäumnissen der Dauerregierenden ebenso einfacher und weit unumstrittener Kapital schlagen lässt. Der Frust auf die SPD ist in Brandenburg nicht nur in den Berlin-fernen bevölkerungsarmen und wolfreichen Gebieten, sondern auch im Speckgürtel um die deutsche Hauptstadt, die ein eigenes Bundesland ist, groß. Weil etwa die Satellitenorte stärker gewachsen sind, als es die Verkehrsverbindungen für Pendler zulassen. Der Frust verteilt sich gleichermaßen auf CDU, Grüne und Linke und macht vier Parteien fast gleich stark und die AfD noch einmal stärker. Denn die greift das Potenzial der sich abgehängt fühlenden Dorfbewohner stärker auf als alle anderen Parteien.
Das galt bis zur Europawahl auch für Sachsen. Hier hat die AfD vor allem die CDU unter Druck gesetzt. Anders als Woidke hat Kretschmer aber eine Antwort auf die Unzufriedenheit gefunden. Er war im Wahlkampf omnipräsent und hat mehr Gespräche geführt als etwa seine Vorgänger. Vor allem geht er seit den Ausschreitungen in Chemnitz verstärkt auch dorthin, wo die Wütenden sind, wo es für ihn wehtut. Er hört aber nicht nur zu, sondern leitet auch stärker als andere das Gehörte in konkrete Politik ab. Er übernimmt damit eine Position, von der die AfD ausging, sie gehöre ihr allein. Sein Konzept geht offensichtlich auf. Seit wenigen Wochen steigt der Zuspruch für ihn und seine Partei wieder merklich.
Ingo Hasewend