Zur vom britischen Premierminister Boris Johnson verordneten Zwangspause des Parlaments in Großbritannien schreiben die Zeitungen am Donnerstag:
"El Mundo" (Madrid):
"Johnson fordert die Demokratie heraus. (...) Seine Entscheidung ist beispiellos. Mit seiner exzentrischen Art und ermuntert von (US-Präsident Donald) Trump, der ihn dazu auffordert, mit der Union kurzen Prozess zu machen, treibt der neue Premier das Vereinigte Königreich Richtung Autokratie. (...) Wir wissen noch nicht, ob dieses Manöver das Ende der erst vor kurzem gebildeten Regierung bedeuten wird. Aber wir wissen zwei Dinge: dass der harte Brexit ein soziales und wirtschaftliches Drama auslösen wird, dessen Konsequenzen den Hauptgeschädigten, den britischen Bürgern nämlich, vielleicht nicht bewusst sind. Und wir wissen auch, dass wenn man dem Populismus die Macht übergibt, nicht nur ein Land, sondern ein ganzer Kontinent die Zeche zahlen muss."
"Financial Times" (London):
"Wenn Boris Johnsons Trick mit der Zwangspause für das Parlament Erfolg hat, verliert Großbritannien jedes Recht, andere Länder über demokratische Defizite zu belehren. Die Verfassungsregeln des Vereinigten Königreichs beruhten lange Zeit auf allgemein akzeptierten Gepflogenheiten. Es bestand dabei immer die Gefahr, dass ein skrupelloser Regierungschef diese Konventionen mit Füßen tritt. Das ist in der Neuzeit nicht geschehen - aber jetzt.
Abgeordnete müssen in der kommenden Woche ihre Chance ergreifen, den Willen des Unterhauses gegen den des Premierministers durchzusetzen. Der Moment, für den sie zusammenkommen, mag zu kurz für die Verabschiedung eines Gesetzes sein, dass eine Verschiebung des EU-Austritts Großbritanniens fordert. Jene, die gegen einen No-Deal-Brexit sind, müssen aber nun ihre Differenzen überwinden und für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung stimmen."
"De Tijd" (Brüssel):
"Damit wird das Endspiel eingeläutet. Es ist bisher noch nicht vorgekommen, dass in einer parlamentarischen Demokratie ein Parlament derart ins Abseits gestellt wird. Aber eben jenes Parlament hat das ganze Jahr über bewiesen, dass es keine brauchbare Mehrheit - für was auch immer - abliefern kann. (...) Als zynischer Machtpolitiker greift Johnson nach den Waffen, die ihm zur Verfügung stehen. Seine Popularität bei den Brexit-Anhängern wird nur noch weiter steigen. Und wenn Johnson aus dem Amt getrieben werden sollte, gebe es immer noch keine eindeutige Lösung. In dieser Hinsicht wird ein Brexit stets hart sein, mit oder ohne Deal."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Er könnte nicht geradliniger und rücksichtsloser auf das eine Ziel zurasen: sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Denn genau diesem Zweck dient der am Mittwoch angekündigte Plan des Premierministers, das Parlament für mehr als einen Monat zu schliessen, kaum ist es nächste Woche aus der Sommerpause zurückgekehrt. Damit wird den Abgeordneten kaum mehr Zeit eingeräumt, um gesetzliche Maßnahmen gegen den von Johnson für Ende Oktober mit "koste es, was es wolle" angekündigten EU-Austritt zu erheben. (...) Doch Johnsons dramatischer Machtgalopp hat auch viele Bewunderer. Ob er wirklich den Verfassungsgrundsätzen widerspricht, wird wohl noch über Jahre hinaus Juristen und weniger die Wähler beschäftigen. Sicher ist: Er bringt dem Land nach drei Jahren ermüdender Brexit-Wirren endlich Klarheit. Nach einem Schlussstrich unter dem Brexit-Drama sehnen sich viele."
"Tages-Anzeiger":
"Der Premier nutzt mit diesem Schritt die Möglichkeiten der ungeschriebenen Verfassung und den Verweis auf Präzedenzfälle, um sein Ziel zu erreichen: einen Brexit – ob geregelt oder ungeregelt. Das darf er tun. Aber er macht damit das vom Volk gewählte Parlament zum Zaungast einer Jahrhundertentscheidung. Johnsons Taktik ist jetzt so perfide wie genial. (...) Kein Wunder, dass die Brexit-Gegner von 'Bürgerkrieg' und einem 'Anschlag auf die Demokratie' sprechen. Johnson selbst hatte angekündigt, im nächsten Wahlkampf stünden die Tories auf der Seite des 'Volks – gegen die Politiker'. Das ist Populismus pur. Eine Regierung, die dem Volk Rechenschaft schuldig ist, demontiert aus Kalkül die gewählten Volksvertreter. Johnson mag diesen Machtkampf gewinnen. Aber der Preis ist sehr hoch."
"L'Alsace" (Mulhouse):
"Es ist kein Staatsstreich, aber ein Eklat. Und ein Schlag unter die Gürtellinie für eine der ältesten Demokratien der Welt. Mit der Entscheidung, die Aussetzung der Arbeit des britischen Parlaments auf fünf Wochen zu verlängern - bis zum 14. Oktober (...) - versucht Boris Johnson, einem nicht vereinigten Königreich sein Gesetz aufzuzwingen. Dies geschieht durch eine Verzögerungstaktik (...). Ziel ist es, die Parlamentarier daran zu hindern, rechtzeitig ein mögliches neues Abkommen zu prüfen oder sogar eine alternative Lösung vorzuschlagen, um den harten Brexit zu vermeiden, den Herr Johnson sich für den 31. Oktober auf Teufel komm raus fest vorgenommen hat."
"Guardian" (London):
"Die Vertagung des Parlaments ist ein königliches Vorrecht, das in der modernen Demokratie nur toleriert werden kann, wenn es sich dabei um einen zeremoniellen Akt handelt. Wenn ein Premierminister, der nicht einmal ein Mandat der Wählerschaft hat, auf diese Weise parteipolitische Ziele verfolgt, für die es im Unterhaus keine Mehrheit gibt, dann stellt dies einen grotesken Missbrauch des höchsten politischen Amtes dar. Boris Johnson kapert Befugnisse, die symbolisch der Krone zustehen, und benutzt sie für einen Angriff auf seine Gegner im Parlament. Dass er dies tut, um einen harten Brexit durchzusetzen, ist für Pro-Europäer schmerzlich. Dass er überhaupt bereit ist, es zu tun, sollte jeden alarmieren, der die Traditionen der britischen Demokratie zu schätzen weiß."
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Die Anti-Brexit-Koalition kann Neuwahlen nur verhindern, indem sie eine alternative Regierung bildet. Doch die Vorstellung von einem (Labour-)Premierminister Jeremy Corbyn bleibt abschreckend. Dass Boris Johnsons über Neuwahlen nachdenkt, ist völlig klar. Auf einmal ist jede finanzielle Disziplin verschwunden und es gibt Geld für alles. (...) Der Zweck von Neuwahlen besteht dabei nicht per se darin, den Brexit auf ordentliche Weise über die Bühne zu bringen. Vielmehr ist der Brexit (für Johnson) ein Mittel, um die Wahlen zu gewinnen. Machterhalt ist in der britischen Politik wichtiger als alles andere, sogar als die Interessen des Landes."