Angesichts wachsender Ängste vor einem Chaos-Brexit startet der britische Premier Boris Johnson eine diplomatische Offensive. In einem Brief an EU-Ratschef Donald Tusk fordert Johnson die Streichung der von der EU verlangten Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland. Anstelle des sogenannten Backstops stellte er nicht definierte andere "Verpflichtungen" Großbritanniens in Aussicht. Die Änderungen am Austrittsvertrag sollen nach Johnsons Darstellung einen ungeregelten Brexit Ende Oktober verhindern. "Ich hoffe sehr, dass wir mit einem Deal ausscheiden werden", schrieb der Regierungschef. Doch lehnt die Europäische Union Nachverhandlungen oder Änderungen am bereits fertigen Brexit-Abkommen strikt ab.
Dennoch will die britische Regierung ab 1. September den meisten EU-Treffen fernbleiben. Dies geschehe, damit sich die Beamten auf "die zukünftige Beziehung mit der EU und anderen Partnern weltweit" konzentrieren könnten, begründete die ständige Vertretung des Vereinigten Königreichs in Brüssel den Schritt.
Die Regierung in London hat demnach diese Woche beschlossen, dass britische Vertreter und Minister nur mehr an Treffen teilnehmen werden, an deren Diskussionsergebnissen Großbritannien ein "bedeutendes nationales Interesse" habe, wie zum Beispiel im Bereich Sicherheit. Die Entscheidung spiegle die Tatsache wider, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31. Oktober nun sehr nahe gerückt sei und viele Diskussionen über die Zukunft der Union nach dem Brexit geführt würden, hieß es weiters.
Irland reagiert enttäuscht auf Brief aus London
Der irische Außenminister Simon Coveney hat sich unterdessen enttäuscht über die Haltung des britischen Premier zum Backstop geäußert. Coveney erklärte in einem Telefonat mit dem britischen Brexit-Minister, er sei besorgt über den Mangel an Alternativen zum Backstop. Irland brauche Rechtssicherheit in der Grenzfrage.
Die EU hat nach Erhalt des Briefes ihr Festhalten am Backstopbestätigt. Tusk erklärte in einem Tweet, er sei eine Garantie, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden, bis eine Alternative gefunden sei. "Diejenigen, die gegen den Backstop sind und keine realistischen Alternativen vorschlagen, unterstützen die Wiedererrichtung einer Grenze. Auch wenn sie dies nicht zugeben", so Tusk. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, Johnsons Brief habe keine konkreten Vorschläge enthalten. Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker würden eine offizielle Antwort auf das Schreiben vorbereiten.
Die EU-Behörde setze sich für einen geordneten Brexit ein, der "im besten Interesse" für beide Parteien sei, und sei bereit, jeden vorgelegten Vorschlag den Backstop betreffend zu analysieren, hieß es. Auf Stimmen in Großbritannien, denenzufolge ein Austritt mit oder ohne Abkommen nun in den Händen der EU liege, antwortete die Sprecherin, dass jetzt nicht die Zeit für Schuldzuweisungen sei.