Italien ist im Urlaub und steuert auf Ferragosto zu, das Mittsommerfest zu Mariä Himmelfahrt. Die meisten Tätigkeiten kommen zum Erliegen, nur der Verkehr nicht. Auch im Adriaseebad Termoli ist Ferienstimmung, aber anders als sonst. Matteo Salvini ist auf seiner vorsorglich angesetzten „Beachtour“ hier, einer nicht ganz zufällig geplanten Wahlkampfveranstaltung.

Die Stadt in der Region Molise spielt verrückt. Der Innenminister und Vizepremier, der am Vorabend das Ende der Koalition in Rom angekündigt hat, wird wie ein Popstar eskortiert.

Eine Frau im Bikini wirft sich dem Minister an die Brust. „Grande Matteo“, ruft sie, großartiger Matteo. Dutzendweise herbeigeeilte Anhänger tun es ihr nach. „Capitano“, ruft eine ältere Frau, so nennen Salvinis Anhänger in der Lega-Partei ihren Leader. Salvini hat sich zum Anlass ein blaues Italien-Trikot übergestreift, Zeichen seines Patriotismus.

Selfies

Als er sich nach Hunderten Handschlägen, Selfies und Umarmungen in ein Zelt vorgearbeitet hat, atmet er tief durch. Der Mann ist von der Sommerhitze und den Menschenmassen geplättet, das ist nicht zu übersehen. Doch jetzt geht es für ihn erst richtig los.
Die Zeitungen lassen keine Zweifel daran, wer der Motor der Krise zwischen rechtspopulistischer Lega und linkspopulistischer Fünf-Sterne-Bewegung ist. „Salvini spricht Conte das Misstrauen aus“, titelt der „Corriere della Sera“. „Salvini entlässt Conte“, schreibt „La Stampa“, als könne ein Minister den Regierungschef feuern.


Salvini selbst sagt in Termoli: Der Schritt sei „konsequent und mutig“, vom Koalitionspartner kämen mehr „Neins“ als „Jas“, „die Regierung steht still“. „Das Sinnvollste für die Italiener ist, so schnell wie möglich wählen zu gehen“, sagt der 46-Jährige. Trotz der Ferien würden sich ab Montag alle Abgeordneten der Lega in Rom einfinden. Ein Misstrauensantrag gegen Premier Giuseppe Conte wurde bereits gestellt. Und dann folgt noch ein typischer Salvini-Satz. Auch die anderen Abgeordneten sollten „ihren Arsch hochbekommen“. Die Menge in Termoli johlt.


Seit Jänner kriselt es im unorthodoxen Bündnis. Bisher sind es nur Worte, die nach 14 Monaten das Ende des waghalsigsten politischen Experiments in Europa besiegeln. Die Italiener konnten ihren braun gebrannten Minister im Fernsehen sehen, wie er nach einer Veranstaltung per Handstreich das Ende der Regierung erklärte. „Ich bin nicht hier, um Sessel anzuwärmen“, sagte er in die Mikrofone. Sessel gelten in Italien als Machtsymbol einer Kaste, die vor allem an ihrem eigenen Wohl interessiert ist.

Macht

Salvinis Bart ist grauer geworden nach einem Jahr als Innenminister: „Ich fordere die Italiener auf, mir volle Macht zu übertragen.“ Wer ihn wähle, wisse, was er bekomme. Wenn man sich in Italien umhört, dann sind es zwei Aspekte, die die Landsleute schätzen: Hartes, kompromissloses Durchgreifen gegen Migranten, so wie es der Politiker plakativ in seinem Durchgreifen gegen die Hilfsorganisationen im Mittelmeer vormacht.

Kapitäne der Schiffe, die Flüchtlinge im Meer aufnehmen, müssen inzwischen mit Geldstrafen von bis zu einer Million Euro rechnen.
Zum Anderen punktet der Mailänder mit seinem lauten Aufbegehren gegen die vermeintlich starken Mächte, die im Hintergrund die Zügel halten: Mit anderen Worten die EU-Kommission in Brüssel, die Italiens Schuldenpolitik mit Argusaugen beobachtet und die nationalen Regierungen in Berlin und Paris. „Zuerst die Italiener“, lautete die wichtigste Botschaft im EU-Wahlkampf. Diese Kontraposition gegen Ausländer und fremde Mächte hat in den von Wirtschaftskrise und nationalem Minderwertigkeitskomplex geschundenen Seelen offenbar verfangen.


Es war also nur folgerichtig, dass die Lega einen Misstrauensantrag gegen den parteilosen, aber der Fünf-Sterne-Bewegung nahestehenden Premier beantragte. Wann über diesen abgestimmt werden sollte, war zunächst nicht klar.


Die Krise hatte sich seit Monaten angebahnt. Der für Salvini willkommene Auslöser war eine Parlamentsabstimmung über die Fortführung des Baus einer Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke von Turin nach Lyon. Die Koalitionspartner sind sich über Vieles uneinig, auch über die Fortführung des bereits begonnenen Megaprojekts. Die dem norditalienischen Unternehmertum nahe stehende Lega fordert die Fortführung, die Basis der Fünf Sterne ist gegen den Weiterbau. Salvini, dessen Lega bei der EU-Wahl 36 Prozent holte, sah seinen Moment gekommen.


Nach den Wahlen im Frühjahr 2018 taten sich mit Salvinis Lega und der vom Komiker Beppe Grillo gegründeten Bewegung zwei scheinbar inkompatible Kräfte zusammen. Die systemkritischen Sterne waren der mit 35 Prozent der starke Part. Im Laufe des Jahres kehrten sich die Kräfteverhältnisse proportional um. Inzwischen ist die Lega, die 2014 noch sechs Prozent erreichte, stärkste Kraft Italiens. Die Sterne stürzten ab. Das ist auch an der Führungsriege der Partei abzulesen.

Der 33-jährige Parteichef, Vizepremier und Arbeitsminister Luigi Di Maio spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Ihm werden parteiintern viele ungeschickte Schachzüge angelastet. Im Falle von Neuwahlen wäre die Karriere des einstigen Shootingstars schon vorbei. Di Maio sitzt bereits die zweite Legislatur im Parlament. Ein internes Statut der Anti-Establishment-Partei verbietet ihren Vertreten eine dreifache Kandidatur.


Es ist keine Frage, dass die Lega die Wahlen für sich entscheiden wird. 38 bis 40 Prozent könne man erzielen, heißt es in Parteikreisen. Salvini hat die Bedürfnisse eines Großteils der Italiener bedient. Die weit verbreitete Sehnsucht einer nach wie vor männlich dominierten Gesellschaft nach einem tatkräftig auftretenden Leader, wie ihn in der kollektiven Wahrnehmung schon der vierfache Ex-Premier Silvio Berlusconi und der 2016 gescheiterte Premier Matteo Renzi verkörperten.
Salvini war bereits als 17-Jähriger in der Mailänder Lokalpolitik aktiv.

Dennoch gelingt es ihm, sich als systemfremde Kraft zu inszenieren. Hinzu kommen Anflüge von Menschlichkeit, wenn der geschiedene Minister gerührt von seinen Kindern spricht, die er ob der Verpflichtungen so vermisse. Zuletzt hat er immer wieder die Muttergottes ins Spiel gebracht. Beim Wahlkampfauftritt im Mai vertraute er sich, seine Partei und das ganze Land der Madonna an. Als vor Tagen die Strafen für Flüchtlingshelfer verschärft wurden, postete er ebenfalls ein Konterfei der Maria.


Am Donnerstag bekamen Salvinis Anhänger ein Video präsentiert. Zu sehen ist ein nackter dunkelhäutiger Mann, der sich auf offener Straße mit Seife einreibt, um sich zu waschen. „Das ist der Lebensstil, der einigen Linken als unsere Zukunft vorschwebt“, schrieb er: Dieser „Illegale“ werde ausgewiesen. In Nigeria könne er sich dann aufführen, „wie er will“. Bei nicht wenigen in Italien kommt Salvinis Ton t bestens an.