Mit einem kompletten Umbau der Regierung hat der neue Tory-Premier Boris Johnson gleich in den ersten Stunden seiner Amtszeit die Öffentlichkeit verblüfft und viele Parteikollegen vor den Kopf gestoßen. Auf allen wichtigen Posten findet sich die britische Regierung seit gestern Abend im Griff der Brexit-Hardliner, der Parteirechten und der „Boris-Loyalisten“. „Das ist keine Regierungsumbildung, das ist ein Massaker“, sagte der konservative Abgeordnete Nigel Evans, ein Brexit-Anhänger.
Zu seinem Außenminister berief Johnson den früheren Brexitminister Dominic Raab, der stets eine harte Austritts-Position vertreten hatte. Neue Innenministerin ist die Todesstrafe-Befürworterin Priti Patel, die als Entwicklungshilfe-Ministerin noch von Theresa May gefeuert worden war, weil sie auf eigene Faust mit Israel Nahost-Verhandlungen geführt hatte.
Die Schatzkanzlei (das Finanzministerium) geht an den bisherigen Innenminister Sajid Javid, einen leidenschaftlichen Befürworter „freien“ Unternehmertums, der schon unter May scharfe neue Einwanderungsregeln für EU-Bürger plante. Auch dem bisherigen Umweltminister Michael Gove, der zusammen mit Johnson die Brexit-Kampagne von 2016 inszeniert hatte, bot dieser weitere Zusammenarbeit an.
Hochkontroverser Chefberater
Den heiß umstrittenen Top-Strategen der „Vote-Leave“-Kampagne beim Brexit-Referendum, Dominic Cummins, ernannte Johnson zu einem seiner Chefberater. Kommentatoren erklärten, der Premier habe Cummins praktisch zum Kopf einer „Hardliner-Administration“ gemacht.
In ihrer Radikalität überraschte die Regierungsumbildung alle Beteiligten. 15 Minister der Regierung May gingen „über Bord“. Nicht nur Pro-Europäer des konservativen Lagers, sondern auch Brexiteers, die ihn nicht ausreichend unterstützt hatten, setzte Johnson geradewegs vor die Tür.
Fast alle Tories, die seinen Hauptrivalen Jeremy Hunt favorisiert hatten, mussten zusammen mit Hunt das Kabinett verlassen. Unter ihnen befanden sich ausgesprochene Brexiteers wie Aussenhandelsminister Liam Fox und Verteidigungsministerin Penny Mordaunt.
Überzeugte Pro-Europäer wie Schatzkanzler Philip Hammond, Justizminister David Gauke oder Kabinetts-Chefkoordinator David Lidington waren am gleichen Tag schon aus Protest gegen Johnsons Politik zurück getreten. Sie wollen auf den Commons-Hinterbänken den Widerstand gegen Johnson organisieren.
Peter Nonnenmacher aus London