War es das mit den Hoffnungen der EU auf einen geregelten Brexit? Die parteiinterne Wahl von Boris Johnson zum neuen britischen Premierminister dürfte Bewegung in die festgefahrenen Brexit-Verhandlungen bringen. Doch ist die Richtung wirklich klar?
So könnte es weitergehen: Wenn sowohl die EU als auch Johnson hart bleiben, dürfte es am 31. Oktober tatsächlich zum großen Knall - also zum ungeregelten Brexit - kommen. Mehere EU-Staats- und Regierungschefs haben in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass es kein anderes als das mit Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen geben wird. Johnson lehnt das Abkommen allerdings vehement ab, weil er es als "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt sieht. Er will notfalls lieber einen harten Brexit als einen mit Mays Austrittsabkommen. Vor allem für die Wirtschaft könnte das wegen der möglichen Wiedereinführung von Zöllen und Grenzkontrollen unangenehme Konsequenzen haben.
Die Angst der EU vor Johnson: Es gibt in Brüssel zumindest diejenigen, die fürchten, dass Johnson sein Land ohne Rücksicht auf Verluste aus der EU führen wird. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch solche, die hoffen, dass die Amtszeit des 55-Jährigen ein weiterer Schritt in Richtung eines britischen Verbleibs in der EU sein könnte. Nach ihrem Szenario wird auch Johnson am Widerstand des Parlaments scheitern und eine politische Bruchlandung hinlegen. Am Ende blieben dann nur Neuwahlen und womöglich ein neues Referendum, das den Brexit-Entscheid wieder rückgängig macht.
Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird den Brexit neu gewichten: Für von der Leyen wird das Thema Brexit eine große Rolle spielen. Wenn es doch noch einmal eine neue Verschiebung des Brexit-Datums gibt, wird von der Leyen nach ihrem Amtsantritt am 1. November eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen über den Brexit spielen. Wenn nicht, wird sie dafür verantwortlich sein, dass mit Großbritannien ein Vertrag über die künftigen Beziehungen ausgehandelt wird. Auf die Frage, ob sie lieber mit Jeremy Hunt oder Boris Johnson zusammenarbeiten würde, hatte sie zuletzt ausweichend geantwortet. "Ich werde sehr konstruktiv mit jedem Staats- und Regierungschef zusammenarbeiten", sagte von der Leyen nur. Dies sei für sie eine "goldene Regel".
Auch die aktuelle EU-Kommission reagiert auf die Entscheidung für Johnson: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ließ Johnson über eine Sprecherin Glückwünsche zu seinem Abstimmungserfolg ausrichten. "Der Präsident will mit dem nächsten Premierminister so gut wie möglich zusammenarbeiten", sagte eine Sprecherin. Vizekommissionspräsident Frans Timmermans warnte noch einmal vor einem harten Brexit. Ein "No Deal" wäre ein Tragödie, sagte er. "Wir würden alle darunter leiden."