Der Brexit-Hardliner Boris Johnson wird Vorsitzender der britischen Konservativen und damit auch neuer Premierminister. Wie die Parteiführung am Dienstag in London mitteilte, setzte er sich in der Stichwahl gegen Außenminister Jeremy Hunt durch. Am Mittwoch soll Johnson als Nachfolger von Theresa May zum neuen Premierminister ernannt werden.
Johnson galt schon lange als haushoher Favorit für die Nachfolge von Theresa May. Seinem Konkurrenten, Außenminister Jeremy Hunt, wurden nur geringe Chancen eingeräumt. Die Konservative Partei wird den Namen des neuen Tory-und Regierungschefs zu Mittag verkünden.
Johnson ist ein Exzentriker, der es mit der Wahrheit oft nicht so genau nimmt. Seine Statur und die lange Zeit wilde Frisur sollen zu seinem Spitznamen "Yeti" in Schulzeiten beigetragen haben. Ganz anders dagegen die ungelenke und wenig spontane May, die in ihrer Amtszeit unter anderem als "Maybot" verspottet wurde - in Anspielung auf roboterhaftes Auftreten. Auch politisch könnten die beiden Konservativen kaum unterschiedlicher sein.
Deutlicher Sieg
Johnson hat das Rennen um die Nachfolge von Premierministerin May haushoch gewonnen. Er setzte sich bei der innerparteilichen Wahl mit 92.153 Stimmen gegen seinen Rivalen Hunt durch, der 46.656 Stimmen erhielt. Die etwa 160.000 Parteimitglieder - das sind laut der Zeitung "Independent" 0,34 Prozent aller Wahlberechtigten - hatten für die Entscheidung zwischen Johnson und Hunt mehrere Wochen Zeit.
"Brexit-Chaos beenden"
Der künftige britische Premierminister Boris Johnson hat angekündigt, das Chaos um den EU-Austritt Großbritanniens zu beenden und die Spaltung im Land zu überwinden. Die Ziele seien nun, den Brexit zu vollziehen, das Land zu vereinen und Oppositionschef Jeremy Corbyn zu besiegen, sagte der neue Chef der britischen Konservativen am Dienstag in London.
Er wolle den Wunsch nach Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung vereinen. Johnson hatte sich in einer Abstimmung innerhalb der konservativen Tory-Partei mit 66,4 Prozent der Stimmen gegen Außenminister Jeremy Hunt durchgesetzt. Am Mittwoch übernimmt er damit das Amt des Premiers von Theresa May, die sich im Zuge der Querelen um den EU-Austritt der Briten entschieden hatte, zurückzutreten.
Der Brexit-Hardliner will Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union herausführen - notfalls auch ohne Abkommen. Zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses kamen am Dienstag auch Johnsons Vater Stanley sowie seine Geschwister Jo und Rachel.
May: "Volle Unterstützung"
Die britische Premierministerin Theresa May hat ihrem Nachfolger Johnson zur Wahl gratuliert. "Wir müssen jetzt zusammenarbeiten, um einen Brexit zu vollziehen, der für das gesamte Vereinigte Königreich funktioniert und Corbyn von der Regierung fernhält", schrieb sie unmittelbar nach Johnsons Wahl am Dienstag auf Twitter.
"Sie haben meine volle Unterstützung von den Hinterbänken", fügte sie hinzu. May hatte im Mai ihren Rücktritt angekündigt, nachdem es ihr nicht gelungen war, eine Mehrheit für den mit der Europäischen Union ausgehandelten Austrittsvertrag zu bekommen.
Gratulationen von Trump
US-Präsident Donald Trump hat dem künftigen britischen Premierminister Johnson zu seinem neuen Amt gratuliert. "Er wird großartig sein", erklärte Trump am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Der US-Präsident hatte schon mehrfach seine Sympathien für Johnson und dessen populistischen Politikstil publik gemacht und zugleich dessen Vorgängerin Theresa May scharf kritisiert.
Die öffentlichen Einmischungen Trumps in die britischen Regierungsgeschäfte sorgten in Großbritannien vielfach für Verstimmung.
Corbyn: Land steht nicht hinter Johnson
Großbritanniens Oppositionschef Jeremy Corbyn hat nach der Wahl Boris Johnsons zum Parteichef der Konservativen und künftigen Premierminister eine Neuwahl gefordert. Johnson sei von weniger als 100.000 Parteimitgliedern der Konservativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb der Labour-Politiker am Dienstag auf Twitter.
Ein EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson nicht ausschließt, bringe Jobverluste und steigende Preise. "Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird", forderte er.
Brexit ohne Abkommen
Wird Johnsons Wahl bestätigt, hätte das großen Einfluss auf den EU-Austritt und es dürfte auch das Verhältnis zu den USA stark prägen. Der Brexit-Hardliner will Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union herausführen - notfalls auch ohne Abkommen. Ein solcher No Deal würde vermutlich vor allem für die Wirtschaft unangenehme Konsequenzen haben, da es zu einer Wiedereinführung von Zöllen kommen könnte. May war mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Abkommen drei Mal im Parlament krachend durchgefallen.
In Brüssel übt man sich zumindest nach Außen hin in Gelassenheit. "Wir werden jeden Premierminister respektieren und zu ihm Arbeitsbeziehungen aufbauen", hieß es zuletzt immer wieder aus der für die Brexit-Verhandlungen zuständigen EU-Kommission. Dazu wird betont, dass man das mit May ausgehandelte Austrittsabkommen nicht mehr ändern werde und lediglich noch Modifikationen an der begleitenden politischen Erklärung möglich seien.
Auf den No-Deal-Fall hat sich die EU in den vergangenen Monaten intensiv vorbereitet. Wenn es nicht anders geht, sind wir bereit, lautet das Motto. So könnten besonders betroffene Wirtschaftszweige und Regionen im Ernstfall finanzielle Unterstützung erhalten.
Wie geht es weiter?
Die Spekulationen, wie es mit dem Brexit weitergehen könnte, werden hinter verschlossenen Türen geführt. Zum einen gibt es dabei diejenigen, die den früheren EU-Korrespondenten des "Daily Telegraph" fürchten, weil sie es für wahrscheinlich halten, dass er sein Land ohne Deal aus der EU führen wird. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die hoffen, dass die Amtszeit Johnsons ein weiterer Schritt in Richtung eines britischen Verbleibs in der EU sein könnte. Denn sollte Johnson mangels Mehrheit im Parlament eine politische Bruchlandung hinlegen, blieben am Ende dann nur Neuwahlen und womöglich ein neues Referendum, das den Brexit-Entscheid wieder rückgängig macht.
In Brüssel wird jedenfalls jetzt schon damit gerechnet, dass es Ende Oktober noch einmal einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs gibt, um zu besprechen, ob eine erneute Verschiebung des Austrittsdatums möglich ist. Bis dahin dürfte ein Premier Johnson versuchen, die EU doch noch zu einer Neuverhandlung des Deals zu bewegen.
Wenn Boris Johnson in etwas mehr als drei Monaten noch im Amt sein sollte, dann dürfte er mit Ursula von der Leyen über die Beziehungen zwischen der EU und seinem Heimatland verhandeln. Die Deutsche hatte sich in der vergangenen Woche wohlweislich gehütet, auf die Frage zu antworten, ob sie als künftige EU-Kommissionspräsidentin Hunt oder Johnson als Gesprächspartner bevorzuge. "Ich werde sehr konstruktiv mit jedem Staats- und Regierungschef zusammenarbeiten", sagte von der Leyen nur. Dies sei für sie eine "goldene Regel".
Verhältnis mit den USA
Vielleicht könnte der Wechsel in der Downing Street zumindest dem Verhältnis mit den USA neuen Auftrieb geben. Zuletzt verursachten unter anderem geleakte Botschaftermemos Verstimmung zwischen Washington und London. Die wirtschaftlichen Interessen auf beiden Seiten sind groß. US-Präsident Donald Trump hat klargemacht, dass Johnson seinen Segen hat. "Ich denke, wir werden eine großartige Beziehung haben", sagte er am vergangenen Freitag vor Journalisten. May kritisierte der Republikaner dabei erneut scharf. Sie habe einen "sehr schlechten Job" beim Brexit gemacht, es sei eine Katastrophe. "Ich denke, Boris wird das geraderücken", fügte Trump hinzu.
Doch die beginnende Freundschaft zeigt schon jetzt ihre Grenzen, wie der gefährlicher Konflikt mit dem Iran zeigt. Teheran hat einen unter britischer Flagge fahrenden Öltanker in der Straße von Hormuz festgesetzt. Großbritannien spricht von "staatlicher Piraterie". Die Meerenge ist wirtschaftlich und militärisch von großer Bedeutung. London beklagt zu wenig eigene Kriegsschiffe in der Region und schielt nach Hilfe von dem mächtigen Verbündeten USA.
Doch US-Außenminister Mike Pompeo machte am Montag deutlich, dass er nicht primär die Vereinigten Staaten in der Pflicht sieht, das Problem zu lösen. Das sei in erster Linie die Sache Großbritanniens.