Es war einer der berüchtigten Zornausbrüche von Amerikas Präsident. Aber diesmal benötigte Donald Trump gleich mehrere Tweets, um Dampf abzulassen. „Der verrückte Botschafter des UK“, „ein sehr dummer Typ“, „ein aufgeblasener Idiot“, wütete er gegen Kim Darroch, den Botschafter des Vereinigten Königreichs in den USA. Auslöser des Gezeters aus dem Weißen Haus: Die britische Zeitung „Mail on Sunday“ hatte am Samstag Depeschen Darrochs an die Regierung in London publik gemacht, die Trump als „unsicher“ und „inkompetent“ und seine Regierung als „einzigartig dysfunktional“ beschreiben.

Das versetzte Trump derart in Rage, dass er sich über Twitter gleich auch an der scheidenden Premierministerin Theresa May abarbeitete, mit der er noch vor einem Monat bei seinem Besuch in London Höflichkeiten ausgetauscht hatte. Diese lasse ein Brexit-„Desaster“ zurück. „Ich habe Theresa May gesagt, wie man den Deal machen sollte, aber sie ist ihren eigenen dummen Weg gegangen.“

Stimmungsumschwung über Twitter

Ob Freund oder Feind, ob Großbritannien, die europäischen Verbündeten, der Iran, Russland oder Nordkorea – vor Donald Trump ist niemand sicher. Unberechenbarkeit und Sprunghaftigkeit sind seit nunmehr zweieinhalb Jahren die Essenz seiner Kommunikation. Noch vor zwei Jahren beschwor Trump „Feuer und Zorn“ auf den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un herab, heute nennt er ihn, wenn’s gerade passt, einen „Freund“.

Das Erratische von Trumps Politik stellt die klassische Diplomatie mit ihren strengen Ritualen und Protokollen freilich vor große Herausforderungen.

„Diplomatie ist der Versuch, auf friedlichem Weg das Zusammenleben von Staaten und Interessensgruppen sicherzustellen,“ sagte Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien und ehemaliger Botschafter in Moskau und London. Klassisch meint, die Verhandlungsteilnehmer gehen davon aus, mit Instrumenten wie verschiedenen Formen des Dialogs und dem Völkerrecht Vertrauen aufzubauen und ein Ergebnis zu erlangen, von dem alle profitieren können.

Oft scheine es, als würden Diplomaten nur mit Champagnergläsern zusammenstehen. Aber das trüge fundamental, sagt Brix. In Wahrheit gingen einer Übereinkunft harte Arbeit und lange Unterredungen voraus.
Trumps Zugang sei ein anderer. Dies habe man beim kurzerhand kommunizierten Treffen des US-Präsidenten mit Kim Jong-un an der demilitarisierten Grenze Nordkoreas beobachten können. Brix: Mit einem Handschlag sei ohne tiefgehende Unterredung vorab Hoffnung hinsichtlich der Verhandlungen geweckt worden. Eine solche symbolische Diplomatie sei bedenklich im Sinne der Beständigkeit und Substanz dieser Arrangements. Die geopolitisch unstabile Situation und die zunehmende Komplexität der Welt ermögliche den „Abenteurern der Diplomatie“ – wie sie Brix nennt – die Spielregeln zu verändern. So handle Trump auf der Bühne der Weltpolitik eher als Geschäftsmann und gehe beim Machen von „Deals“ von Gewinnern und Verlierern aus.

In seinem Buch „The Art of the Deal“, erklärte Trump bereits 1987, dass der „Deal“ zwar das Ziel von riskanten Geschäften sei, doch der Nervenkitzel die Belohnung. Dieses von Drohgebärden und Stimmungsschwankungen geprägte Verhalten scheint ihn nun auch als Präsident der USA zu leiten.

Die Europäer bezeichnen sich im Gegensatz dazu als die letzten Verteidiger des Multilateralismus“, sagt Emil Brix. Konkret heißt das, sie sind bestrebt, mit mehreren Staaten gleichberechtigt und friedlich Konflikte zu lösen. Eine wichtige Wegmarke dafür war der Westfälische Friede, der das Gemetzel des Dreißigjährigen Kriegs beendete. Mit ihm schrieb sich die Kunst des diplomatischen Dialogs in Europas Politik ein. Eine Zäsur stellte dann vor allem der Wiener Kongress 1814/15 dar. Durch die Einbeziehung aller Akteure, auch des in den Napoleonischen Kriegen besiegten Frankreich, wurden hier unter der Leitung des österreichischen Außenministers Klemens Wenzel Lothar von Metternich eine Verhandlungskultur und eine politische Neuordnung geschaffen, die Europas Kriegslust zumindest hundert Jahre lang im Zaum hielt.

Wie schwer es für Europa heute geworden ist, mit den Instrumenten klassischer Diplomatie Politik zu machen, belegt das Beispiel des in Wien 2015 ausgehandelten Atomabkommens mit dem Iran. Die Europäer verständigten sich mit Teheran, den USA, Russland und China langwierig auf ein Abkommen, das alle Seiten mit einbezog. Nach dem einseitigen Austritt der USA blieben sie dann machtpolitisch gelähmt zurück.
Die Amerikaner hätten erkannt, dass die Struktur, die nach 1945 geschaffen wurde, nicht mehr vollkommen dem Zeitgeist entspricht, so Brix. Das hätten sie den Europäern voraus. Dabei zögerten sie nicht, scheinbar unantastbare multilaterale Einrichtungen wie die Vereinten Nationen zu kritisieren.

„Europa muss zur Kenntnis nehmen, was sich verändert, und schnell reagieren“, sagt Brix. „Es reicht nicht, immer nur darauf hinzuweisen, wenn Menschenrechte irgendwo verletzt werden“, sagt der Botschafter, sondern es müsse insbesondere gesagt werden, „es geht uns auch darum, dass wir unser Lebensmodell erfolgreich fortsetzen wollen“. Der Wille der EU-Staaten, gemeinsame Außenpolitik zu machen, sei der Schlüssel dafür. Zugleich brauche es für den Einbau neuer Methoden in der klassischen Diplomatie Realitätssinn, sagt Brix. So sei er als Direktor der Diplomatischen Akademie zwar „nicht glücklich, dass die Amerikaner alles über Twitter kommunizieren, was sie außenpolitisch machen“, doch lese er mehrmals täglich deren Tweets nach.

„Wenn wir die Ziele, die wir immer gehabt haben in der Diplomatie, weiterhin bestmöglich erreichen wollen, müssen wir das digitale Feld miteinbeziehen und wir müssen auch die Politik der Emotionen stärker berücksichtigen“, sagt Brix. „Wir haben eigentlich das beste Modell“, sagt der Botschafter, denn „die Diplomatie wurde in Europa erfunden.“