Außenminister Alexander Schallenberg und sein ungarischer Amtskollege Peter Szijjarto wandeln am Donnerstag auf den Spuren ihrer Vorgänger Alois Mock (ÖVP) und Gyula Horn. Die beiden Minister gedenken nahe der ungarischen Stadt Sopron (Ödenburg) jenes Tages, an dem Mock und Horn vor 30 Jahren den Eisernen Vorhang durchschnitten.

Dabei war diese feierliche Aktion am 27. Juni 1989 im Grunde bloß ein genialer Medien-Coup. Denn der Abbau der Sperranlagen auf ungarischer Seite hatte bereits fast zwei Monate vorher, am 2. Mai, begonnen. Dennoch waren es die Bilder der beiden Minister mit Drahtscheren in der Hand, vereint an der Zerstörung des Stacheldrahtes werkend, die im Gedächtnis blieben und um die Welt gingen. Die Szene nahe dem Grenzübergang Klingenbach/Sopron verselbstständigte sich sogar in der populären Erinnerung so sehr, dass viele Menschen in Österreich bis heute glauben, dies sei der erste Schnitt durch den "Eisernen Vorhang" gewesen.

Mediales Husarenstück

Die Grundidee für dieses mediale Husarenstück kam von einem Medienmann, nämlich dem Fotografen Bernhard Holzner. Der Tiroler, der schon zu Beginn des Abbaus Fotos von ungarischen Grenzsoldaten gemacht hatte, wie sie den Stacheldraht einrollen und die Tragpfosten herausreißen, war über den mangelnden medialen Widerhall dieses historischen Schrittes der ungarischen Reformregierung irritiert. Dass in den internationalen Medien nur wenige Bilder vom Abbau des "Eisernen Vorhanges" veröffentlicht worden seien, "hat mich einfach gestört", erinnerte er sich Jahre später im Gespräch mit der APA. So sei er zu Mocks damaligem Pressesprecher Gerhard Ziegler gegangen und habe ihm einen Fototermin an der Grenze vorgeschlagen.

Außenminister Mock (1934-2017) trug die Idee an die ungarische Seite heran, und so wurde der Akt mit den Drahtscheren als Abschluss eines zweitägigen Arbeitsbesuchs von Horn (1932-2013) in Österreich vereinbart. Nachdem sie den Stacheldraht unter großer Medienaufmerksamkeit symbolisch durchtrennt hatten, gab Mock seiner Hoffnung Ausdruck, der "Eiserne Vorhang" werde "in der Geschichte später einmal eine Periode des Irrtums dokumentieren, in der Völker durch Zäune getrennt waren".

Seit 2015 stehen an Ungarns Südgrenze allerdings wieder Stacheldrahtzäune. Sie sollen diesmal nicht die eigene Bevölkerung an der Flucht, sondern illegale Migranten am Betreten ungarischen bzw. EU-Territoriums hindern.

Der Fototermin am Stacheldrahtzaun brachte im Sommer 1989 bald ungeahnte Konsequenzen mit sich. Ungarn war für zahlreiche DDR-Bürger durch die jährlichen Urlaube am Balaton (Plattensee) bereits ein vertrautes Land. Umso elektrisierter wurden viele, als sie sahen, dass dort auf einmal die Sperren an der Westgrenze entfernt wurden. Auch wenn aufgrund der mehrwöchigen Wartezeiten für eine Ausreise aus der DDR wohl nicht ausschließlich die Fernsehbilder den Anstoß für viele gaben, in diesem Sommer nach Ungarn zu reisen, setzten die Bilder des gemeinsamen Abbaus der Grenzsperre zahlreichen DDR-Bürgern den sprichwörtlichen "Floh ins Ohr", um eine Flucht in den Westen überhaupt in den Blick zu nehmen.

In den Sommermonaten überschlugen sich dann die Ereignisse: Zehntausende DDR-Bürger weigerten sich nach dem Sommerurlaub, in die Heimat zurückzukehren; viele von ihnen versuchten, die - weiterhin bewachte - grüne Grenze nach Österreich zu überqueren. In einer spektakulären Aktion am Rande der unter Patronanz von Otto Habsburg stehenden Friedensdemonstration "Paneuropäisches Picknick" am 19. August gelang es dann Hunderten, ein hölzernes Grenztor zu durchstoßen und nach Österreich "rüberzumachen".

Schließlich entschied sich die Budapester Regierung in einem beispiellosen Schritt dafür, am 11. September um 0.00 Uhr die Westgrenze für ausreisewillige DDR-Bürger zu öffnen - sehr zum Unwillen der Führung in Ost-Berlin. Dann waren es nur mehr knappe zwei Monate bis zum Fall der Berliner Mauer und dem endgültigen Sturz des DDR-Regimes, die am 3. Oktober 1990 schließlich zur Wiedervereinigung Deutschlands führten.