Der frühere britische Außenminister Boris Johnson muss vor Gericht Rede und Antwort stehen, weil er die Briten vor dem Referendum zum EU-Austritt belogen haben soll. Johnson wurde am Mittwoch von Richterin Margot Coleman zu einer Voranhörung vor ein Londoner Gericht vorgeladen. Es gehe um Vorwürfe zu Fehlverhalten in einem öffentlichen Amt.
Dies kann im Fall einer Verurteilung mit lebenslanger Haft als Höchststrafe geahndet werden. Der private Kläger Marcus Ball wirft dem 54-jährigen Politiker vor, die Öffentlichkeit mit falschen Angaben beim Referendum 2016 und bei der Neuwahl 2017 in die Irre geleitet zu haben. Johnson gilt derzeit als Favorit für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May.
Versprechungen und falsche Zahlen
Johnson hatte vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 behauptet, Großbritannien zahle wöchentlich 350 Millionen Pfund (knapp 400 Millionen Euro) an die Europäische Union - die Summe gilt als stark übertrieben. Johnson war bis kurz vor dem Referendum Bürgermeister von London und warb massiv für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union. Wenige Wochen nach dem Referendum wurde er Außenminister.
Selbst in diesem Amt versprach er noch, die Geldzahlungen an die EU einzustellen und die Mittel für das Gesundheitssystem des Landes zu nutzen. Die Einsparungen bezifferte er auch damals auf rund 350 Millionen Pfund pro Woche - obwohl die Austrittsbefürworter nach dem erfolgreichen Referendum selbst eingeräumt hatten, diese Berechnung sei grob übertrieben.
Heftige Kritik an Johnson
Für seine Angaben hatte Johnson bereits in der Vergangenheit heftige Kritik einstecken müssen. So rügte der Chef der britischen Überwachungsbehörde für öffentliche Statistiken in einem öffentlichen Brief den exzentrischen Politiker: Es handle sich bei den 350 Millionen Pfund um einen Bruttobetrag, bei dem nicht in Betracht gezogen werde, dass Großbritannien auch Geld von der EU zurückerhalte. "Das ist ein klarer Missbrauch öffentlicher Statistiken", hieß es damals in dem Schreiben.
Johnson bewirbt sich derzeit um die Nachfolge der scheidenden Premierministerin Theresa May; er will neuer Parteichef der konservativen Tories und in der Folge auch Regierungschef werden. Er ist zwar an der Basis beliebt, hat sich unter Parteikollegen mit seinem undiplomatisch-polternden Auftreten aber auch Feinde gemacht.
Vorladung dank Geschäftsmann
Die Vorladung Johnsons wurde vom Geschäftsmann Marcus Ball erstritten. Er wirft dem konservativen Politiker vor, wissentlich falsche Angaben über die Kosten der britischen EU-Mitgliedschaft gemacht und diese regelmäßig wiederholt zu haben. Ball sammelte für das rechtliche Vorgehen gegen Johnson Geld im Internet.
Balls Anwälte hatten Johnsons Vorladung bei einer Anhörung in der vergangenen Woche beantragt. Johnson selbst war dabei nicht anwesend. Sein Anwalt Adrian Darbishire sagte, der Tory-Politiker weise den Vorwurf entschieden zurück, sich unzulässig oder unehrlich verhalten zu haben.
Nach der Anhörung soll entschieden werden, ob der Fall an ein Strafgericht abgegeben werde. Nur dort könne über die Anschuldigungen verhandelt werden, erklärte Richterin Coleman.
Seither Chaos um Brexit
Großbritannien soll bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Das von May mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen wurde aber vom über den Brexit-Kurs zerstrittenen Parlament bisher drei Mal abgelehnt. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Bleibt es dabei, droht ein abruptes Ende der Mitgliedschaft mit dramatischen Folgen.
Johnson war im vergangenen Jahr aus Protest gegen den Brexit-Kurs von May von seinem Amt als Außenminister zurückgetreten. Er will nun May beerben. Sie will am 7. Juni ihr Amt als Parteichefin der Konservativen abgeben. Bis Ende Juli soll ein Nachfolger bestimmt werden. Dann will May auch die Regierungsgeschäfte abgeben. Insgesamt hat sich ein knappes Dutzend Politiker für die Nachfolge beworben.