"Neue Zürcher Zeitung"
"Dass ausgerechnet Österreichs "Wunderwuzzi" der erste Kanzler ist, der vom Parlament aus dem Amt gehoben wird, ist bitter für ihn. Zufällig und aus reiner Missgunst geschieht es gleichwohl nicht. (Sebastian) Kurzerhält auch die Quittung dafür, dass er das Parlament und die Oppositionsparteien in den letzten anderthalb Jahren mit Geringschätzung behandelt hat. Und doch ist der ÖVP-Chef durch den Vertrauensentzug nicht gedemütigt. Vielmehr ist die paradoxe Situation entstanden, dass er trotz dem unrühmlichen Ende seiner Regierung nur gewinnen konnte. Wäre der Misstrauensantrag gescheitert, hätte sich die Opposition blamiert, und Kurz hätte bis zur Neuwahl im Herbst einen Wahlkampf als Kanzler führen können. Stattdessen wurde er nun in eine Märtyrerrolle gedrängt. Stetig wiederholte er, eine verantwortungslose rot-blaue Allianz stürze das Land aus niederen Motiven in die Instabilität. Diese Argumentation dürfte verfangen. (...) Bei der Misstrauensabstimmung hatte die SPÖ nur schlechte Optionen, und ob sie sich für die weniger schlechte entschieden hat, wird sich zeigen. Klar ist aber, dass sie sich endlich über eigene Themen definieren muss und nicht bloss über die Ablehnung von Kurz. Der Sieg im Parlament bereitet deshalb wohl eher den Weg ins nächste Debakel."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Für die demokratische Kultur mag es gut sein, dass das Bündnis aus der konservativen Volkspartei ÖVP und der rechtsnationalen FPÖ zerbrochen ist. Das ändert aber nichts daran, dass der in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingeschlagene Weg unter dem jungen Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) richtig war. Erstmals seit Jahrzehnten weist das Budget einen Überschuss aus, die Schulden- und Abgabenquoten sinken. Auch ging "Schwarz-Blau" zumindest einige der lange aufgeschobenen Strukturreformen an. (...) Diese Dynamik ist vorerst dahin. Mit dem (Selbst-)Sturz der Regierung haben die Modernisierung der österreichischen Wirtschaft und die Sanierung der Staatsfinanzen ein jähes Ende gefunden. (...) Österreich stehen Monate des Stillstands bevor, vielleicht Jahre, falls, wie so oft, demnächst wieder eine reformunwillige Führung ans Ruder kommt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Konjunktur abzukühlen beginnt. Wien hatte seine Chance und hat sie nicht genutzt. Das ist auch deshalb bedauerlich, weil der kleine Bruder Österreich ein gutes Vorbild für Deutschland hätte werden können."
"taz" (Berlin)
"Was gerade in Österreich passiert, ist keine Staatskrise. Bei allem Verständnis für ein gewisses Maß an Sensationsgier nach dem Ibiza-Skandal um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und bei aller Aufregung um den abgewählten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Was da in Österreich passiert, ist das Gegenteil einer Staatskrise. Denn wenn die schlechte Nachricht ist, dass in Österreich ranghohe Politiker gefilmt werden, wie sie auf Ibiza bei Wodka-Red Bull in einer Villa sitzen und anbieten, die Republik an eine vermeintliche russische Oligarchen-Nichte zu verschachern, dann sind die guten Nachrichten, dass die Medien als vierte Macht funktionieren und dass Bundespräsident Alexander Van der Bellennun mit einer derartigen Ruhe agiert, dass es eine Freude ist. Und die beste Nachricht ist, dass die österreichische Verfassung tut, was sie tun soll: eine Staatskrise verhindern. (...) Eine Staatskrise ist ein schleichender Vorgang, bei dem eine Regierung versucht, eine Demokratie von innen auszuhöhlen. Dieser Zustand wurde in Österreich abgewendet, zumindest fürs Erste."
"Upsala Nya Tidning" (Uppsala)
"Österreich ist heute Europas Transportdrehscheibe. Der Export macht 60 Prozent des BIP aus. Eine der meistbefahrenen Strecken der Welt, die Tangente, führt mitten durch Wien. Das Wein exportierende und in hohem Maß vom Tourismus abhängige Land weiß nur zu gut, dass es sich nicht isolieren darf. Widerstand gegen Brüssel zieht bei Wahlen nicht. (Sebastian) Kurz erzielte bei der EU-Parlamentswahl mithilfe von Stimmen der Linken und der FPÖ ein Rekordergebnis von 35 Prozent. Der politische Sturm dürfte sich nun legen. Freilich hat Kurz im Sozialsystem auf eine Weise herumgeschraubt, die empört hat. Gleichzeitig hat die Regierung Ressourcen verwendet um die notorisch schwerfällige österreichische Bürokratie effektiver zu gestalten und das Steuersystem zu verbessern. Im Wahlkampf für die vorgezogene Neuwahl kann Kurz nun auf zwei Botschaften setzen: Wir müssen weiterregieren und wir können das ohne die extreme Rechte."