Nach der Rücktrittsankündigung der britischen Premierministerin Theresa May sieht der Europaexperte Fabian Zuleeg ein hohes Risiko für einen ungeregelten Brexit Ende Oktober. "Die Wahrscheinlichkeit war und ist immer noch hoch", sagte der Chef der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. "Man muss weiter damit rechnen, dass es dazu kommen könnte."
Mays für 7. Juni angekündigter Rückzug als Chefin der konservativen Tory-Partei bedeute, dass beim EU-Austritt in den nächsten Wochen und Monaten kein Fortschritt absehbar sei. Die Suche nach einem Nachfolger werde dauern, und die Person werde voraussichtlich deutlich euroskeptischer sein als May. An den Mehrheitsverhältnissen in London werde sich nichts ändern, weil Mays Partei mangels Chancen keine Neuwahl wolle.
Auch für die EU bleibe die Lage gleich, sagte Zuleeg weiter. Nachbesserungen am Austrittsvertrag seien nicht möglich: "Was da verhandelt worden ist, sind ja Prinzipien für die EU, die sich nicht verändern werden. Das heißt, auch ein neuer Premierminister wird keine andere Ausgangslage in Brüssel haben." Die Brexit-Linie werde von allen übrigen 27 Staaten getragen. "Ich sehe keine Möglichkeit, das neu zu verhandeln", sagte der Experte.
Ob eine weitere Verlängerung der nun bis 31. Oktober laufenden Austrittsfrist sinnvoll sei, müsse die EU "sehr vorsichtig" prüfen. Man müsse London klar machen, dass Großbritannien nun endlich eine Entscheidung treffen müsse. Auch viele EU-Bürger unterstützten in Umfragen die Politik einer "klaren Kante": "Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, diesen Prozess immer weiter hinauszuzögern", sagte der Politikexperte.
EU-Position unverändert
Die EU-Kommission hat nach Mays Rücktrittsankündigung klar gemacht, dass sich die Position der EU zum Brexit nicht verändert. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe die Ankündigung "ohne persönliche Freude" verfolgt. "Der Präsident hat die Zusammenarbeit mit Premierministerin May gemocht und sehr geschätzt." May sei "eine Frau von Mut", für die Juncker "großen Respekt" habe. Er wolle weiter mit ihr in Kontakt bleiben, sagte eine Kommissionssprecherin. Er werde ebenso jeden neuen Premier respektieren und zu diesem Arbeitsbeziehungen aufbauen, "wer auch immer es sein wird, und ohne seine Unterredungen mit Premierministerin May zu stoppen".
Inhaltlich gebe es "keine Änderungen" der EU zum Brexit. "Wir haben unsere Position zum Austrittsabkommen und zur politischen Erklärung (über die künftigen Beziehungen) klar gemacht", sagte die Sprecherin. Dies gelte auch für den Rat der 27 verbleibenden EU-Staaten. Die EU-Kommission stehe für jeden neuen britischen Premier zur Verfügung.
Irland: Kein besserer Deal
Irland rechnet nicht damit, dass die EU einem neuen britischen Premierminister einen besseren Brexit-Deal anbieten wird als Theresa May. Das sagte der irische Außenminister Simon Coveney im Radio.
Ein Vertreter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron äußerte sich bedeckt zu den möglichen Folgen. Allerdings sei es entscheidend, dass die EU-Institutionen funktionierten. Die EU brauche rasch Aufklärung darüber, wie die nächsten Schritte aussähen. Um über die Folgen von Mays Entscheidung zu spekulieren, sei es noch zu früh.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt die Entscheidung Mays "mit Respekt" zur Kenntnis, wie eine Regierungssprecherin in Berlin sagte. Das weitere Vorgehen beim Brexit hänge nun von den innenpolitischen Entwicklungen in Großbritannien ab, wozu die deutsche Regierung keine Stellung nehme. Deutschland wünsche auch weiterhin einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Erforderlich dafür sei eine erfolgreiche Abstimmung im britischen Unterhaus.