Zu Mittag hatte der Vizekanzler seinen Rückzug verkündet, die FPÖ bot dem Regierungspartner ÖVP Norbert Hofer als neuen Mann an der Seite von Sebastian Kurz an. Dieser ließ sich bitten. Stundenlang wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, bis sich endlich die Tore zum Kanzleramt öffneten und die Journalisten ihre Stifte zücken und ihre Mikrofone einschalten durften. "Ich habe dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, vorgezogene Neuwahlen durchzuführen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt", sagte Kurz.
Vorangegangen war diesen Worten eine Lobrede auf die eigene Arbeit, ein Dank an sämtliche Regierungskollegen, "egal welcher Partei sie angehören". Nur mit den baldigen Neuwahlen, mit der Einladung an die Menschen "uns zu unterstützen", mit der "Bitte um einen klaren Auftrag" könne die ÖVP den eingeschlagenen Weg fortsetzen und zu Ende bringen. "Dafür werde ich werben."
Zuvor hatte Kurz seine Optionen erörtert. Dem Vernehmen nach hatten die Spitzenfunktionäre am Nachmittag zwei Lager gebildet. Weitermachen mit der ÖVP, mit anderen Leuten? Fliegender Wechsel zu anderen Partnern? Oder doch der Mut zu Neuwahlen?
Ein Weitermachen mit der FPÖ kam für Kurz nicht mehr in Frage, sagte er am Abend. "Die FPÖ schadet dem Reformprojekt und dem Weg der Veränderung, auch dem Ansehen unseres Landes. Das entspricht nicht dem politischen Zugang, den ich habe, nämlich der Republik, den Menschen in unserem Land zu dienen."
"Kein Wille bei FPÖ"
Vor allem aber: "In den heutigen Gesprächen mit Vertretern der FPÖ habe ich nicht den Eindruck gewonnen, das da ein wirklicher Wille ist, die FPÖ abseits der Rücktritte auf allen Ebenen zu verändern." Dies wäre aber "mehr als notwendig". Damit bezog sich Kurz offenbar auf die Kunde davon, dass die ÖVP vor allem auf einem Abgang von Innenminister Herbert Kickl bestanden habe, was die FPÖ rundweg ablehnte.
Im Sinne der Sacharbeit habe er nicht bei den ersten Verfehlungen des Regierungspartners aufgegeben, sagte Kurz. "Sie haben verfolgt, dass ich bereit sein musste, vieles auszuhalten und vieles in Kauf zu nehmen, vom Rattengedicht über die Nähe zu rechtsradikalen Gruppierungen bis hin zu Einzelfällen."
Erinnerung an Tal Silberstein
Jetzt, nach dem Ibiza-Video, sei es genug, "auch wenn mich die Methoden an Tal Silberstein erinnern". Dabei gehe es ihm nicht um die Beschimpfungen und um die derben Anschuldigungen, sondern um das was gesagt wurde zum Thema Machtmissbrauch, Umgang mit Steuergeldern, etc.
Er habe keine Möglichkeit gesehen, mit anderen Regierungspartnern weiterzumachen, so der Kanzler. Der Wechsel zur SPÖ hätte die Rückkehr zum Stillstand bedeutet, die anderen Parteien seien zu klein, um eine Regierung unterstützen zu können.
Nächste Station: Europa-Wahl
Jedes Wort des Bundeskanzlers wirkte wohl gesetzt. Für ihn und die ÖVP geht es um alles - nicht erst bei der Nationalratswahl sondern schon in acht Tagen, bei der Europa-Wahl.
Für die SPÖ kommt der nächste Nationalratswahlkampf zu früh. Für die Grünen ist eine unerwartete Chance, rasch auch im Parlament wieder mit am Tisch zu sitzen, für die Neos ebenfalls eine Chance, zu erstarken. Die Liste "Jetzt" dürfte sich schwer tun mit dem Wiedereinzug im Herbst.