Die Vereinten Nationen haben Österreich in einem Bericht die Verletzung von internationalen Menschenrechtsstandards im Asylbereich attestiert. "Einige Rechtsvorschriften und -praktiken sind nicht voll im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und müssen in Übereinstimmung gebracht werden", heißt es in dem am Donnerstag bekannt gewordenen Bericht der UNO-Menschenrechtskommissarin.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat den Bericht mit einer Gegenforderung beantwortet. "Wir nehmen jede Kritik sehr ernst, aber ich lasse es als Bundeskanzler nicht zu, Österreich schlechtzureden", teilte Kurz am Donnerstag der APA mit. "(Wir) erwarten uns, dass die UNO jetzt auch die restlichen 27 EU-Länder prüft."
Der Bericht wurde von UNO-Experten erstellt, die Österreich im vergangenen Oktober besucht und mit Regierungsvertretern, NGOs, aber auch Migranten gesprochen hatten. Die Expertenmission hatte schon im Vorfeld für Aufregung gesorgt; die türkis-blaue Bundesregierung vermutete politische Hintergründe und verwies darauf, dass Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet eine frühere sozialistische Politikerin ist. Die Mission soll aber schon vor Bachelets Amtsantritt eingefädelt worden sein. Laut dem Bericht handelt es sich bereits um die sechste entsprechende Mission in einem europäischen Staat.
Scharfe Kritik an Polizei und BFA
Scharfe Kritik übt der Bericht an den Mitarbeitern von Polizei sowie des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), deren Befragungen von Migranten "oft in einer Atmosphäre des Misstrauens stattfinden". Die Beamten schienen sich eher darauf zu konzentrieren, Dublin- oder Sichere-Staaten-Fälle zu finden als die Asylbewerber zu umfassenden Berichten zu ermuntern. "Die Art und Weise, wie das BFA einige Befragungen durchgeführt hat und Entscheidungen getroffen hat, macht Sorge." So ließen sich die Mitarbeiter von Stereotypen und Vorurteilen leiten und seien voreingenommen. In vielen Fällen seien negative Entscheidungen "auf Basis persönlicher Meinungen" getroffen worden, mit "voreingenommenen Fragen in Interviews und ungerechtfertigten rassischen und geschlechtlichen Vorurteilen". In dem Bericht wird auch darauf verwiesen, dass auch der Autor des umstrittenen Bescheids zu einem irakischen Homosexuellen, der im Vorjahr für Empörung gesorgt hatte, weiterhin Befragungen durchführe.
Ein Eindruck, den laut Ö1 auch Amnesty International bestätigt. Generalsekretär Heinz Patzelt: „Es gibt keine Situation des grundsätzlich einmal Verstehen-Wollens, sondern eine abwehrende, bis ins Bösartige gehende Atmosphäre". So werden die Betroffenen eingeschüchtert.
Zu schnell bei der Abschiebung
Österreich verfügte "im Großen und Ganzen" über ein rechtliches Schutzsystem für Migranten, doch werde dieses nicht immer kohärent umgesetzt, kritisieren die Experten etwa den Fokus auf Schnelligkeit und Abschiebungen sowie Ausbildungsmängel. Es gebe keinen systematischen Anspruch auf Rechtshilfe in Asyl- und Fremdenrechtsfragen, und Einsprüche hätten nicht systematisch aufschiebende Wirkung. Eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards sei auch, dass Österreich die Schubhaft für Kinder über 14 Jahren ermögliche, so die Experten, die jedoch einräumten, bei ihrem Besuch kein Kind in Schubhaft angetroffen zu haben.
Insgesamt kritisierten die Experten, dass die Behörden offenbar bewusst auf Schubhaft anstelle gelinderer Mittel in Abschiebeverfahren setzen. So seit von 2015 bis 2017 der Einsatz gelinderer Mittel von 571 auf 348 gesunken, während sich die Schubhaftfälle von 1.436 auf 4.627 mehr als verdreifacht hätten. Dabei betonten die Experten, dass Schwangere und Stillende, Folter- und Traumaopfer sowie Migranten mit besonderen körperlichen und psychischen Bedürfnissen, LGBTI-Personen und andere verletzliche Personen grundsätzlich nicht in Schubhaft genommen werden dürften. Es würden auch Migranten in Schubhaft genommen, obwohl sie Familie in Österreich hätten.
Kein grundsätzlicher Anspruch auf Rechtshilfe
Die UNO-Experten kritisierten auch, dass Asylbewerber in Österreich keinen grundsätzlichen Anspruch auf Rechtshilfe hätten. So habe das Bundesverwaltungsgericht in den ersten neun Monaten des Vorjahres nur 15 Prozent von Rechtshilfeanträgen zugelassen. Einsprüche gegen Abschiebungen hätten nicht grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Zudem gebe es Fälle, in denen Familien getrennt worden seien. So habe man Familienmitglieder abgeschoben und dann Personen, die in Österreich schutzberechtigt seien, eine freiwillige Rückkehr nahegelegt. Moniert wurde auch das Fehlen von detaillierten Statistiken zu Schubhaft und Abschiebungen, etwa auch zur Länge der Haft. Dies erschwere es, den exzessiven Einsatz von Schubhaft zu überwachen.
Auch in den Aufnahmezentren liege bezüglich des Rechtsschutzes offenbar viel im Argen. "Ich bin schon seit vier Monaten hier und habe noch keinen Richter gesehen", wird in dem Bericht ein Migrant zitiert. Die Experten führten auch Probleme mit der Dolmetschung an. So habe ein Urdu sprechender Migrant einen Farsi-Dolmetsch bekommen und dann ein Protokoll unterschreiben müssen, dass er nicht ganz verstanden habe.
Besorgt zeigten sich die Experten auch darüber, dass die Aktivitäten der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit Asylverfahren, etwa bei der Rechtsberatung, eingeschränkt werden. Im Zusammenhang mit der Mindestsicherungsreform warnten sie vor einer ungerechtfertigten Kürzung für subsidiär Schutzberechtigte, die menschenrechtswidrig wäre. "Alle Änderungen sollen auf Basis objektiver und begründeter Kriterien erfolgen", heißt es in dem Bericht. Insgesamt wird die türkis-blaue Bundesregierung aufgerufen, "sorgfältig" die Auswirkungen von Gesetzesänderungen im Asylbereich einzuschätzen, damit es nicht noch zu einer weiteren Erosion von Schutzstandards komme.