Ein führungsloses Finnland geht am heutigen Sonntag zur Wahl. Erstmals seit 20 Jahren könnten die deutlicher als andernorts linksgerichteten Sozialdemokraten bei den finnischen Parlamentswahlen wieder als stärkste Kraft hervorgehen. Umfragen sehen die Partei bei 20 Prozent. Spitzenkandidat Antti Rinne könnte vor allem von der Besorgnis vieler Finnen über den Abbau und die Privatisierung des Wohlfahrtsstaates in den vergangenen Jahren profitieren.
Bereits vor über einem Monat ist der seit 2015 amtierende bürgerliche Ministerpräsident Juha Sipilä zurückgetreten. Dies, weil seine Zentrumspartei und deren Partner, die rechtsliberale Sammlungspartei, und die sich 2017 aus der rechtspopulistischen Partei „Wahren Finnen“ abgespaltene „Blaue Zukunft“ keine Mehrheit für ihre große Sozial- und Gesundheitsreform erzielen konnten. Dabei hat der IT-Multimillionär und Ex-Großunternehmer, der versprach Finnland „wie ein Unternehmen“ zu führen, sein Land aus der schlimmsten wirtschaftlichen Krise seit den Neunziger Jahren geboxt.
Ein Land in der Krise
Mehr als andere Länder litt Finnland an den Nachwirkungen der Finanzkrise 2008. Der weltgrößte Mobiltelefonhersteller Nokia ging unter, weil Topmanager den rechtzeitigen Anschluss an die Smartphone-Generation verschlafen hatten. Die Holz- und Papierwirtschaft galt lange als Rückgrat Finnlands. Doch Digitalisierung und zunehmende Konkurrenz aus Asien haben die Papierindustrie auf ein Drittel zusammenschrumpfen lassen. Auch die dritte wichtige Säule Finnlands, die Metall- und Maschinenbauindustrie, kränkelte. Zudem hatten Sanktionen gegen Russland, das nach Deutschland und Schweden Finnlands drittwichtigster Handelspartner ist, der Exportindustrie zusätzlich schwer zu schaffen gemacht. Heute ist Finnland aus der Krise heraus, auch dank dem Sparkurs Sipiläs, der Staatsschulden abbauen konnte. Auf Kosten der einfachen Leute behaupten seine Kritiker.
Obwohl der Ex-Premier das Experiment zum Mitbürgerlohn ohne Pflichten auf den Weg brachte (nicht weil er Sozialist ist, sondern, um zu prüfen, ob dieses Instrument ohne Kontrollinstanzen kosteneffektiver ist als gängige Maßnahmen) musste er gleichzeitig viele unpopuläre Entscheidungen treffen. So lockerte er den Arbeitnehmerschutz und Rechte der Gewerkschaften zugunsten der Arbeitgeber, die herkömmlichen Arbeitslosenbezüge wurden zumeist nur noch voll ausgezahlt, wenn Arbeitslose einer Beschäftigungsmaßnahme nachgehen und nachwiesen, dass sie aktiv Arbeit suchen. Auch wurde der Wohlfahrtsstaat an mehreren Stellen deutlich beschnitten, zudem wurde privatisiert. Erst kürzlich wurden mehrere Skandale in privaten Altersheimen enthüllt, was Sipiläs Zentrumspartei und seinem ebenso marktliberalen Partnern von der Sammlungspartei deutlich zusetzte.
Mehr Sozialstaat
Viele Finnen wollen wieder mehr Sozialstaat. Die Sozialdemokraten bieten das an. „Wir müssen unseren Wohlfahrtsgesellschaft stärken und dafür brauchen wir Geld“; sagte der Ex-Gewerkschaftler und möglicher neuer Ministerpräsident Rinne, der bei einem Wahlsieg auch die EU-Ratspräsidentschaft Finnlands ab 1. Juli anführen wird. Er will Steuern auf Kapitalgewinne, aber auch die Umsatzsteuer erhöhen. Das stört die Wählerschaft nicht. Im Gegenzug will er etwa alle Renten von weniger als 1400 Euro um 100 Euro erhöhen.
Rinne könnte ein Linksbündnis mit Grünen und Linkspartei und weiteren kleineren Parteien anstreben. Das wäre ein ungewöhnlich deutlicher Linksruck in Finnland. Oder aber, in Finnland traditionell üblich, über die Blockgrenze, mit der bürgerlichen Sammlungspartei und weiteren Kräften zusammengehen. In Finnland regieren traditionell zwei der drei großen Parteien Sozialdemokraten, bürgerliches Zentrum und bürgerliche Sammlungspartei, während die dritte zumeist abgewählte Regierungspartei in die Opposition geht.
Klimawandel als Wahlkampfthema
Die Grünen, die normalerweise um die 8 Prozent erhalten, können erstmals mit einem Ergebnis von 12 bis 14 Prozent rechnen. Der Klimawandel war, auch von Schulstreiks nach dem Modell Greta Thunberg angefeuert, ein großes Wahlkampfthema. Die Grünen skandierten etwa mit „Letzte Chance um die Welt zu retten“.
Die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ könnten erstmals seit längerem, erfolglosen Dümpeln wieder zweitstärkste Kraft werden mit um die 15 Umfrageprozent. Die Einwanderungsdebatte wird wieder verstärkt geführt, weil die Polizei derzeit gegen Flüchtlinge ermittelt, wegen Sexualstraftaten gegenüber jungen Mädchen im Ort Uleaborg.
Finnland hat im Vergleich zu Schweden nur wenige Flüchtlinge während der Krise aufgenommen, und braucht wirtschaftlich vor allem junge Zuwanderer dringend, auch wegen der im Vergleich zu anderen EU Ländern sehr deutlich alternden Gesellschaft, die nicht genügend eigene Kinder hat.