Mehr als 27 Jahre lang haben sich Griechenland und das heutige Nordmazedonien einen erbitterten Streit um einen Namen geliefert, Anfang des Jahres wurde der Konflikt beigelegt. Die Einigung gilt als historisch. Welche direkten Auswirkungen hat der neue Name Nordmazedonien nun?
NIKOLA DIMITROV: Diesen Disput um den Namen gab es, seit wir ein unabhängiger Staat wurden, seit 1991. 1993 sind wir den Vereinten Nationen beigetreten, und dort hieß es, dass wir dieses Problem lösen müssen. Die Einigung jetzt war der letzte Ziegelstein in unserem Staatsgebäude. Eine ganze Generation haben wir mit diesem Namensstreit verloren! Bei der Einigung haben wir mehr an die nächste Generation als an die nächsten Wahlen gedacht. Unsere Regierung hat verstanden, dass wir als Balkanland in diesen unvorhersehbaren Zeiten schnell handeln müssen, wenn wir international mitspielen wollen.
Welche Möglichkeiten, aber auch welche Nachteile bringt der Name Nordmazedonien im Land selbst mit sich?
DIMITROV: Natürlich gibt es noch viele im Land, die sich gegen die Versöhnung mit Griechenland und gegen den Namen Nordmazedonien sträuben. Die Regierung braucht Zeit, um die Skeptiker zu überzeugen. Die Menschen sträuben sich oft gegen den Wandel, manchmal wären die alten Grabenkämpfe einfacher. Es sind zwei Erzählungen, die gegeneinander antreten: die der Furcht und die der Zukunft. Einige Parteien probieren nach wie vor, mit der Furcht Punkte zu sammeln. Auf lange Sicht tun diese Politiker der Nation keinen Gefallen. Ich zitiere in diesem Zusammenhang gern die Einführung zum „Carnegie Report“ über die Balkankriege 1912 bis 1913, der 1914 erschienen ist: Dort steht, dass es keinen anderen Ausweg, keine andere Lösung für Länder oder Nationen gibt, außer jene der Rechtsprechung und Versöhnung. Auch wenn es auf beiden Seiten wenig begeisterte Menschen gibt: Mit dem Ende des Namensstreits stehen wir auf der richtigen Seite der Geschichte.
Griechenland blockierte wegen des Namensstreits den Beitritt Mazedoniens zur Nato und zur EU, diese Blockade ist nun beendet: Wie wichtig sind diese Mitgliedschaften für Nordmazedonien?
DIMITROV: Diese beiden Bündnisse sind für alle politischen Mächte wichtig. Wir sollten seit 2008/09 Mitglied der Nato sein, wie Albanien und Kroatien. Aber wir sind es bis heute nicht. Für unsere Region bedeuten diese Allianzen Sicherheit. Wir haben schon mehrmals die Last geteilt, aber ohne die Vorteile und Sicherheiten einer Nato-Mitgliedschaft zu haben, etwa in Afghanistan, wo wir bei der Isaf, der Internationalen Schutztruppe, mitgemacht haben. Wir hoffen, dass wir bis zum Nato-Gipfel im Dezember in London Mitglied sind.
Und was ist mit der EU?
DIMITROV: Es ist absurd, dass die Balkanländer immer an der Peripherie Europas verortet werden. Nordmazedonien ist ein Nicht-EU-Land, das eingekreist ist von EU-Ländern. Und die Migrationskrise von 2015 und 2016 hat deutlich gezeigt, wie geopolitisch wichtig der Balkan, wie wichtig Nordmazedonien ist. Wir sitzen ökonomisch im selben Boot: Österreich ist der stärkste Investor in Nordmazedonien und Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner. 49 Prozent unseres Exports gehen nach Deutschland. Die größte Herausforderung für uns in Nordmazedonien ist es derzeit, unsere junge Generation im Land zu halten, und das geht nur, wenn wir Mitglied der EU werden. Wir müssen den jungen Menschen signalisieren, dass es vorwärtsgeht.
Aber das große Thema auf dem Balkan ist die Korruption. Ist Nordmazedonien wirklich EU-fit?
DIMITROV: Meine Regierung arbeitet seit 22 Monaten. Sie hat sich aus der breiten Mobilisierung der Bevölkerung entwickelt, ich selbst bin parteilos und war ein Aktivist dieser Protestbewegung - ich bin quasi ein Unfall der Politik (lacht). Meine Regierung geht die Reformprojekte sukzessive an: Kampf gegen Korruption, Kampf für die Medienfreiheit. Die europäische Reise sollte für uns jetzt nicht länger im Warteraum stattfinden, sondern wie bei Montenegro und Serbien in den Verhandlungszimmern.
Sie kennen Großbritannien, haben in Cambridge studiert: Wie empfinden Sie das Brexit-Chaos?
DIMITROV: Ich liebe Großbritannien. Aber ich fürchte, es verhält sich bei diesem Land wie bei einem Menschen, der immer drinnen war und deshalb vergessen hat, wie kalt es draußen ist.
Manuela Swoboda