Im Ringen um den Brexit hat das britische Parlament sowohl der britischen Premierministerin Theresa May als auch Oppositionschef Jeremy Corbyn einen neuen Kurs aufgezwungen. May entging bei der Abstimmung über die nächsten Schritte beim EU-Austritt am Mittwochabend einer Revolte der No-Deal-Gegner.
Das Unterhaus stimmt für die neue Strategie Mays, die zu einer Verschiebung des Austrittsdatums Ende März führen könnte. Die Abgeordneten billigten mit überwältigender Mehrheit den Drei-Stufen-Plan, welcher der Regierungschefin mehr Zeit für die Nachverhandlungen mit der EU einräumt, mit 502 zu 20 Stimmen. May hatte sich am Vortag angesichts der verfahrenen Lage erstmals zu einer Verschiebung des Brexit um bis zu drei Monate bereit erklärt.
Bisher ist der britische EU-Austritt für den 29. März geplant. Der neue Plan sieht nun bis zu drei Abstimmungen im Unterhaus vor: Sollte die Premierministerin bis zum 12. März nicht die notwendige Mehrheit für das Austrittsabkommen erlangen, stimmen die Abgeordneten am 13. März über einen Austritt ohne Vertrag ab. Wird dieser auch abgelehnt, entscheiden sie am 14. März über eine Verschiebung.
Die Pläne von Labour-Chef Corbyn für einen weicheren Brexit lehnten die Abgeordneten am Mittwochabend hingegen sehr deutlich ab. Er steht nun unter Druck, sich für ein zweites Referendum einzusetzen. Das hatte Corbyn am Montag in Aussicht gestellt, sollte die Regierung nicht auf seine Vorstellungen für eine engere Bindung an die EU samt Zollunion umschwenken.
Bei "No Deal" bleiben Rechte für EU-Bürger
Sollte es zu einem No Deal kommen, wollen die Abgeordneten die im Austrittsabkommen vereinbarten Rechte für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU trotzdem garantieren. Einen entsprechenden Antrag winkten die Parlamentarier durch. Der Beschluss ist aber rechtlich nicht bindend. Zudem wären in diesem Fall für die Rechte der Briten in der EU die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig.
Deutschland und Frankreich signalisierten London unterdessen ihre Bereitschaft für eine kurze Verschiebung des Brexits. "Wenn Großbritannien etwas mehr Zeit braucht, dann werden wir uns dem nicht verweigern", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch bei einem Treffen mit Macron in Paris. Man stimme zugleich aber vollkommen darin überein, dass das Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien gelte, betonte die Kanzlerin.
Noch Hoffnung auf neuen Deal
May machte den Abgeordneten schon vor der Abstimmung Hoffnungen, dass Brüssel ihr beim Abkommen doch noch entgegenkommen wird. Sie stehe kurz davor, Zugeständnisse seitens der EU zu erhalten. Der Fokus des Unterhauses müsse nun darauf liegen, einen Deal zum EU-Austritt zustande zu bekommen und die Europäische Union am 29. März zu verlassen. "Das Parlament sollte seine Pflicht erfüllen, damit unser Land vorankommen kann", schrieb May in der "Daily Mail".
Die Premierministerin hatte am Dienstag erstmals eingeräumt, dass Großbritannien die EU auch nach dem 29. März verlassen könnte. Sie versprach, die Abgeordneten über eine mögliche Verschiebung abstimmen zu lassen. Sollte sie bis zum 12. März mit ihrem Deal im Parlament wieder scheitern, will sie die Abgeordneten vor die Wahl zwischen einem ungeregelten Ausscheiden aus der EU oder einer "kurzen Verlängerung" stellen.
Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, hält ein geregeltes Ausscheiden der Briten aus der EU noch für möglich. "Es ist nicht richtig zu sagen, dass ein No-Deal-Brexit am wahrscheinlichsten ist", sagte Barnier dem französischen Sender Franceinfo. Als Verhandlungsführer tue er alles, um eine Einigung zu erzielen. Dabei setze er alles daran, dass ein Abkommen mit May zustande komme, dem das Unterhaus auch zustimmen werde.
Die Briten unterschätzten die Konsequenzen des Brexits oft, sagte Barnier. Dabei seien die Folgen besonders für die Briten gravierend. "Sie sind unzählig: menschlich, sozial, wirtschaftlich und finanziell, technisch und rechtlich." Beim Brexit gebe es nur Verlierer. Barnier kommt am Donnerstag nach Wien und trifft Bundeskanzler Sebastian Kurz, EU-Minister Gernot Blümel (beide ÖVP) sowie Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ).
Länge der Verschiebung offen
May ließ offen, wie lange genau der EU-Austritt verzögert werden könnte. Sie betonte jedoch, dass eine Verschiebung über Ende Juni hinaus nicht möglich sei. Andernfalls müsse Großbritannien an der Wahl zum Europaparlament Ende Mai teilnehmen. Das sei aber im Lichte des Brexit-Votums der Bevölkerung nicht vermittelbar. Eine zweite Verschiebung sei dann so gut wie ausgeschlossen.
Die Abstimmungen über einen No-Deal-Brexit und eine Verschiebung des EU-Austritts sollen spätestens am 13. und 14. März stattfinden. May: "Das Vereinigte Königreich wird am 29. März nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Unterhauses ohne Deal austreten." Ein späterer ungeregelter Austritt sei aber weiter möglich. "Wenn wir müssen, werden wir am Ende einen Erfolg aus einem No-Deal-Brexit machen."
Die Mehrheit der EU-Bürger rechnet einer Umfrage zufolge nicht mit spürbaren oder gar negativen Folgen des Brexits für die übrigen Mitgliedstaaten. Die meisten Befragten (61 Prozent) vertreten den am Mittwoch von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Daten zufolge die Auffassung, dass der Brexit keine spürbaren Auswirkungen auf die EU-Länder haben wird. Mit 27 Prozent deutlich weniger gehen dagegen von negativen Folgen aus. 12 Prozent der Befragten glauben sogar, dass es anderen EU-Staaten ohne die Briten besser gehen wird.