Nach der gewaltsamen Verhinderung von Hilfslieferungen für Venezuela durch das Militär fordert Oppositionsführer Juan Guaidó die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. "Die heutigen Ereignisse zwingen mich zu einer Entscheidung", twitterte der selbst ernannte Interimspräsident nach schweren Ausschreitungen an den venezolanischen Grenzübergängen.
Er rufe nun das Ausland verbindlich dazu auf, alle Optionen für die Befreiung seiner Heimat in Betracht zu ziehen. Guaidó nahm damit die Wortwahl von US-Präsident Donald Trump auf, der zur Frage nach einer militärischen Intervention erklärt hatte, alle Optionen stünden offen.
US-Generalsekretär Antonio Guterres rief am Sonntag alle Seiten zur Mäßigung und zum Gewaltverzicht auf. Venezolanisches Militär, das loyal zum Präsidenten Nicolas Maduro stand, hatte am Samstag mit Gummigeschossen und Tränengas verhindert, dass Hilfslieferungen über die Grenzen von Kolumbien und Brasilien ins Land kamen. Bei Zusammenstößen starben örtlichen Beobachtern zufolge mindestens drei Menschen, 295 weitere wurden verletzt.
Das weitere Vorgehen in der Krise soll am Montag in Kolumbien unter Beteiligung von US-Vizepräsident Mike Pence und Guaidó von der Lima-Gruppe beraten werden - einer Allianz von 14 amerikanischen Ländern. In US-Regierungskreisen hieß es, Pence werde "konkrete Schritte" und "klare Aktionen" ankündigen. US-Außenminister Mike Pompeo sagte dem Sender CNN, er werde mehr Sanktionen gegen Venezuela geben. Zudem könnten die USA mehr humanitäre Hilfe leisten. Brasilien, ein diplomatisches Schwergewicht in der Region und über Jahre eher auf der Seite der Regierung in Caracas, rief alle Länder dazu auf, Guaidó als Interimspräsident anzuerkennen und die "Befreiungsbemühungen" aus Venezuela zu unterstützen.
Hilfskonvois gestoppt
Am Samstag hatten Militärs und Milizen auf Befehl von Maduro Hilfskonvois gestoppt, die Grenzübergänge von Brasilien oder Kolumbien passieren wollten. Dabei gingen sie mit Tränengas und Gummi-Geschossen gegen Anhänger von Guaidó vor, die freie Fahrt für die Lkw forderten. Mit zu den schwersten Zusammenstößen kam es in der südlichen Grenzstadt Santa Elena de Uairen. Nach Mitteilung von Menschenrechtsgruppen wurden im gesamten Grenzgebiet 29 Menschen bei Zusammenstößen mit Soldaten angeschossen. Kolumbianische Behörden teilten mit, 285 Menschen seien unter anderem durch Tränengas verletzt worden.
In der Grenzstadt Urena errichteten Demonstranten Barrikaden aus brennenden Reifen, setzten einen Bus in Brand und warfen Steine auf Sicherheitskräfte. "Die eröffneten das Feuer auf kurze Distanz, als ob wir Kriminelle wären", beschrieb der 27 Jahre alte Ladenbesitzer Vladimir Gomez das Vorgehen der Soldaten. Mindestens sechs von zwölf Lastern mussten ins kolumbianische Cucuta zurückkehren. Behörden erklärten, sie würden entladen und die Hilfsgüter gelagert, bis Guaidó sie erneut anfordern werde.
In San Antonio waren in Aufnahmen von Reuters-TV zwölf schwarzgekleidete Männer mit Sturmhauben auf Motorrädern zu sehen. Sie schossen mit Pistolen und Schrotflinten in die Menge. "Maskierte Schläger, erschossene Zivilisten und verbrannte Lkw mit dringend benötigten Lebensmitteln und Arzneien. Das ist die Antwort von Maduro auf friedliche Versuche, den Venezolanern zu helfen", twitterte Trumps Sicherheitsberater John Bolton. Die Unterstützer Maduros sollten dies berücksichtigen, erklärte er mit Blick auf Russland und China. Beide Länder stehen auf der Seite von Maduro und haben vor Interventionen gewarnt.
"Verschleierte Invasion" der USA
Maduro lehnt die von Guaidó initiierten Hilfslieferungen der USA und anderen Staaten ab. Erbost über die Unterstützung Guaidós durch Kolumbien brach er die diplomatischen Beziehungen zu dem Nachbarland ab und setzte den Diplomaten eine 24-Stunden-Frist zum Verlassen des Landes. Seine sozialistische Regierung bezeichnet die Hilfen als verschleierte Invasion der USA. "Nehmt eure Hände von Venezuela weg", sagte Maduro bei einer Kundgebung vor Anhängern am Wochenende in Caracas. "Yankee go home!" Venezuela brauche kein "verdorbenes Essen".
Bisher kann sich Maduro auf die Unterstützung der Spitze des Militärs verlassen. Die Haltung der Armee gilt als entscheidender Faktor im Machtkampf zwischen dem Präsidenten und Guaidó. Allerdings zeigten sich am Wochenende auch feine Risse im Block der Militärs. Am Samstag desertierten rund 60 Soldaten nach Kolumbien. In einem in sozialen Medien veröffentlichten Video war zu sehen, wie Soldaten in gepanzerten Fahrzeugen ihren Posten verlassen, Barrikaden auf der Grenzbrücke umfahren, von den Fahrzeugen springen und auf die kolumbianische Seite der Grenze laufen.
Guaidó hat die Wahl Maduros für illegitim und sich selbst zum Übergangspräsidenten erklärt. Der Präsident des entmachteten Parlaments in Venezuela wird von den USA sowie mehreren europäischen und lateinamerikanischen Staaten anerkannt. Die rund 30 Millionen Venezolaner leiden seit Jahren unter der Mangelwirtschaft, die innerhalb von fünf Jahren zur Halbierung der Wirtschaftskraft und zu Unterernährung geführt hat. Viele Bürger haben sich deshalb in die Nachbarstaaten abgesetzt.