Feine Sandstrände, Palmen und eine warme Wintersonne über dem Roten Meer - wenn sich die EU-Staats- und Regierungschefs bis Montag im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh zu ihrem ersten Gipfel mit den Kollegen der Arabischen Liga treffen, sind hübsche Bilder garantiert. Doch hinter der freundlichen Fassade geht es um handfeste Machtinteressen.
Schwierig wird die Gemengelage außerdem, weil beide Seiten auch noch untereinander zerstritten sind. Für die Europäer ist es ein Drahtseilakt: Auf der einen Seite haben sie ein großes Interesse daran, die Region nicht allein dem Einfluss der USA, Chinas oder Russlands zu überlassen. Auf der anderen Seite sitzen sie im riesigen Kongresssaal mit flauschigem Teppich Herrschern gegenüber, die sich um Menschenrechte und Demokratie wenig scheren. Das heikle Thema soll auch in Sharm el-Sheikh angesprochen werden: "Wenn ich als Schwuler es selber nicht sage, dass ich hier in verschiedenen Ländern in der Umgebung überhaupt nicht leben darf, dann hätte ich ein Problem", erklärte Luxemburgs Premier Xavier Bettel kurz vor Beginn. Selbstverständlich werde er dazu etwas sagen.
Die europäischen Länder treffen auf einen Staatenbund, der den Ruf hat, wenig Einfluss zu besitzen. Unterschiedliche Interessen der 22 Mitgliedsländer blockieren die Arabische Liga - oder lähmen sie sogar, wie die schwere Krise zwischen dem Königreich Saudi-Arabien und dem Nachbaremirat Katar einmal mehr gezeigt hat. So sind Gipfel der Liga häufig nicht mehr als Bühnen mit vielen, aber meistens leeren Worten.
Vor allem der Gastgeber, Ägyptens autokratischer Präsident Abdel Fattah al-Sisi, will das Treffen nutzen, um sich Europa als Anführer zu präsentieren - eine Rolle, in der er sich gefällt. Dabei ist es eigentlich das ölreiche Saudi-Arabien, das mit seinem Reichtum die Arabische Liga dominiert und den Kurs vorgibt.
Hinter der ägyptischen Traumkulisse verbergen sich zahlreiche Konflikte, die das Verhältnis zwischen beiden Seiten prägen:
FLÜCHTLINGE: Zentrale Flüchtlingsrouten Richtung Europa laufen über Nordafrika. Die EU wollte in der Region Sammellager einrichten, stieß dabei aber auf ein striktes Nein der betroffenen Länder. Diese wünschen sich dennoch mehr finanzielle Unterstützung aus Europa. Die EU hat nicht zuletzt das Interesse, dass die nordafrikanischen Staaten stärker gegen Schleuser vorgehen.
KAMPF GEGEN TERROR: Dieser Punkt ist vor allem für Gastgeber Ägypten zentral. Al-Sisi rief die Europäer am Sonntag in seiner Eröffnungsrede auf, im Kampf gegen die "Plage" Terror Seite an Seite zu stehen. Allerdings gehen die Ansichten weit auseinander, was das bedeutet. Ägypten etwa nutzt den sogenannten Kampf gegen den Terror, um mit härtester Hand gegen Oppositionelle vorzugehen und Al-Sisis Herrschaft zu sichern. Tausende Regierungskritiker sitzen in Haft. Die ägyptische Presse ist weitestgehend gleichgeschaltet.
MENSCHENRECHTE: Auch in vielen anderen Ländern der Region werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Prominentestes Beispiel: der Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Die Spur der Täter führt ins direkte Umfeld des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, starker Mann des Königreiches. Seine Teilnahme am Gipfel war deswegen von EU-Seite unerwünscht - stattdessen reiste am Samstag mit König Salman sein altersschwacher Vater an. Auch Sudans Präsident Omar al-Bashir blieb dem Treffen fern - gegen ihn hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl erlassen.
KRIEG IM JEMEN: Saudi-Arabien spielt auch in dem bettelarmen Land eine zentrale Rolle. Riads Luftwaffe greift dort immer wieder die Houthi-Rebellen an und hat zahlreiche Zivilisten getötet. Kritiker werfen dem Königreich zudem vor, für die dramatische humanitäre Lage verantwortlich zu sein, weil es Luft- und Seewege blockiert. Deutschland hat einen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien verhängt. Frankreich und Großbritannien kritisieren das scharf.
SYRIEN: Die Mitgliedschaft des Landes in der Arabischen Liga wurde 2011 ausgesetzt, nachdem die Regierung von Präsident Bashar al-Assad mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vorging. Mittlerweile haben im Bürgerkrieg die Regierungsanhänger wieder die Oberhand. Die Liga diskutiert nun darüber, Damaskus in die Gemeinschaft zurückzuholen. Für europäische Länder wie Deutschland aber kommt eine Wiederaufnahme der diplomatischen Kontakte mit Syrien derzeit nicht infrage.
NAHOST-KONFLIKT: Es wird damit gerechnet, dass Donald Trump seinen Friedensplan bald nach den für den 9. April geplanten Wahlen in Israel vorlegt. In Berlin geht man davon aus, dass der US-Präsident in der ihm eigenen Art sehr stark die faktische Lage zwischen Israel und Palästinensern zum Ausgangspunkt nehmen wird. Merkel will deshalb die Gelegenheit nutzen, ihre Haltung deutlich zu machen: dass eine nachhaltige Lösung des Konflikts nur auf Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung möglich sei, die Jerusalem mit einbezieht.
WAS MERKEL WILL: Die in ihrer letzten Amtszeit stehende Pragmatikerin will in Sharm el-Sheikh die Gelegenheit nutzen, Washington, Peking und Moskau zu zeigen, dass Europa auch global eine größere Rolle spielen will. Zusammen, so ihr Credo, ist die EU stärker, als wenn jeder einzeln mit den arabischen Staaten verhandeln würde.
Auch deswegen hat sich die Kanzlerin am Ende wohl doch noch entschlossen, ans Rote Meer zu reisen. Denn die arabische Seite hatte schon vor dem Gipfel klar gemacht: Eine EU-Teilnahme auf Ebene der Regierungschefs ist für die Könige, Emire und Präsidenten ein starkes Signal für einen Erfolg des Gipfels. Im Klartext: Hätte gerade Merkel nur den Außenminister geschickt, wäre das als Affront bei den Arabern angekommen. Und den wollte Merkel dann doch vermeiden.