Die Europäische Union ist auf die Forderung von US-Präsident Donald Trump, IS-Kämpfer aus Syrien zurückzunehmen und in Europa vor Gericht zu stellen, kaum vorbereitet. Es gebe die klare Notwendigkeit, dazu eine europäische Haltung zu definieren, sagte der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak am Montag vor Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel.
Die Amerikaner würden aus ihrer Haltung kein Geheimnis machen, "ob uns das gefällt oder nicht", erklärte Lajcak. Die Europäer müssten das Thema der IS-Kämpfer nun auf ihre Agenda setzen. Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten sei entscheidend, und "die Spielregeln für diese Partnerschaft haben sich geändert. Wir müssen in der Lage sein, darauf zu reagieren".
Zurückhaltung
Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) reagierte zurückhaltend auf die Forderung Trumps. Es sei in den Überlegungen jeder einzelnen Regierung, in klarer Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden zu handeln, dies gelte auch für Österreich, sagte Kneissl in Brüssel. Die Möglichkeit, die Einreise für IS-Kämpfer zu verbieten, werde "von diversen Regierungen sehr unterschiedlich" gehandhabt. Frankreich etwa habe eine Reihe französischer Staatsbürger zurückgenommen und in Strafverfahren überführt.
Wie viele IS-Kämpfer aus Österreich in Syrien sind, könne man nicht sagen, so Kneissl, "die genaue Zahl schwankt". Österreich habe aber eine "unverhältnismäßig hohe Zahl" gemessen an seiner Bevölkerung - so wie Dänemark und Belgien auch. Man wisse, dass einige IS-Kämpfer ums Leben gekommen seien. Sie habe mit dem US-Sondergesandten James Jeffrey das Thema am Wochenende auch in München erörtert. Die Drohung Trumps, Kämpfer wieder freizulassen, wenn die Europäer sie nicht aufnehmen, sei dort aber nicht so gefallen, Kneissl kann dies "nicht nachvollziehen".
"Es gilt, jede einzelne Biografie klar anzusehen", sagte Kneissl. So hätten sich 2014 eine Reihe junger Frauen aus Österreich der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen. Es gebe prioritäre Fälle, etwa wo es um ein zweijähriges Kind gehe, "hier greifen Überlegungen der konsularischen Schutzpflicht", sagte Kneissl.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte, die EU-Außenminister könnten dazu bereits heute eine Diskussion führen. Offiziell stehen die Lage in Syrien und die Bemühungen des UNO-Sondergesandten Geir Pedersen, den Genfer Friedensprozess für Syrien wieder in Gang zu bekommen, auf der Tagesordnung. Sie verstehe Trumps Aufforderung aber so, dass sich der Appell an die einzelnen EU-Mitgliedstaaten - und nicht an die EU - richte, sagte Mogherini.
"Ändern unsere Politik derzeit nicht"
Frankreichs Außenminister Jean-Yves-Le Drian sagte, es falle derzeit zwar die letzte Bastion der Terrormiliz IS in Syrien. Dies bedeute aber noch nicht, dass es dann Frieden gebe. Für einen dauerhaften Frieden und für den Wiederaufbau brauche es einen politischen Prozess. Justizministerin Nicole Belloubet wies zuvor Trumps Forderung zurück. "Wir ändern unsere Politik derzeit nicht."
Auch Dänemark winkte ab: "Es handelt sich um einige der gefährlichsten Menschen der Welt, und wir sollten sie nicht zurücknehmen", sagte Michael Aastrup Jensen, außenpolitischer Sprecher von Premier Lars Løkke Rasmussen.
Deutschland hält die Forderung der USA für "außerordentlich schwierig zu realisieren". Eine Rückkehr sei nur möglich, "wenn sichergestellt ist, dass diese Menschen hier sofort auch einem Verfahren vor Gericht zugeführt werden", meinte Außenminister Heiko Maas.
Die britische Regierung wies die Forderung zurück. Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May erklärte am Montag, den Jihadisten solle dort der Prozess gemacht werden, wo sie ihre Verbrechen begangen hätten: "Wo möglich, sollte dies in der Region geschehen, in der die Verbrechen begangen wurden." London arbeite diesbezüglich eng mit seinen internationalen Partnern zusammen.
Graben
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn betonte in Hinblick auf Trump: "Nie war Vernunft so notwendig und wertvoll in den transatlantischen Beziehungen wie heute, damit der Graben nicht noch weiter wird." Zu den drohenden US-Strafzöllen für europäische Autos betonte Asselborn, Trump habe 90 Tage Zeit, um zu zeigen, "dass er doch nicht so in Zölle verknallt ist". Generell dürfe es in einer Partnerschaft "keine Befehlsgeber und Befehlsempfänger" geben, "sonst zerbricht die Partnerschaft". Beide Seiten müssten über Lösungen diskutieren, "und nicht Twitter hin- und herschicken", kritisierte er.
Auch Kneissl appellierte grundsätzlich daran, mit den USA im Dialog zu bleiben. Die Partnerschaft der Europäer mit den USA sei viel zu wichtig, als dass man sie infrage stellen könne. Zu den drohenden US-Strafzöllen meinte sie: "Wir wissen, dass das Thema auf der Agenda bleibt." Es habe immer wieder Höhen und Tiefen in den transatlantischen Beziehungen gegeben.
Unterdessen melden sich immer mehr weibliche IS-Anhänger zu Wort und fordern die Rückholung in ihre Heimatländer. Nach der Britin Shamima Begum wurde am Montag der Fall der US-Bürgerin Hoda Muthana bekannt. In Österreich gibt es laut Außenministerium derzeit nur einen bekannten Fall.
Es handle sich dabei um eine junge Frau, die vor vier Jahren von Wien nach Syrien ausreiste, um sich dem IS anzuschließen, bestätigte ein Sprecher des Außenamtes entsprechende Medienberichte gegenüber der APA. Die heute 20-Jährige wurde von einem afghanischen IS-Kämpfer schwanger. Momentan befindet sie sich mit ihrem mittlerweile eineinhalb Jahre alten Sohn in kurdischer Haft, wie die ORF-Sendung "Wien heute" und die Tageszeitung "Österreich" am Wochenende berichteten. Jetzt wolle sie zurück nach Österreich.
Indes wollen die Kurden in Nordsyrien inhaftierte IS-Kämpfer nicht in ihre Heimatländer ziehen lassen. Abdulkarim Omar, ein ranghoher Vertreter der Kurden, bezeichnete die Häftlinge am Montag als "Zeitbomben". Zugleich appellierte er aber an die Heimatstaaten, sich für ihre Staatsbürger verantwortlich zu zeigen.
Zuvor hatten die syrischen Kurden die Europäer aufgerufen, sie nach dem absehbaren Ende des Kampfs gegen den IS nicht im Stich zu lassen und sie gegen die Türkei zu beschützen. "Diese Länder haben eine politische und moralische Verpflichtung", sagte der einflussreiche Kurdenvertreter Aldar Chalil in Paris.