Nach der Anerkennung durch viele europäische Staaten muss der selbst ernannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó liefern. Er will dringend benötigte humanitäre Hilfe ins Land bringen, um die schlimmste Not in dem Krisenstaat zu lindern. "In der ersten Etappe soll die Hilfe jenen Venezolanern zugute kommen, die Gefahr laufen, zu sterben", sagte Guaidó am Montag.

Zahlreiche Länder sagten bereits Soforthilfen in Millionenhöhe zu. Allerdings braucht Guaidó die Unterstützung der mächtigen Streitkräfte, um die Lieferungen ins Land zu schaffen. Noch halten die Militärs zu Staatschef Nicolás Maduro, der humanitäre Hilfe aus dem Ausland zuletzt immer wieder abgelehnt hatte. Er wolle keine Almosen, sagte er. Zudem fürchtet er, dass mit der Hilfe aus den Vereinigten Staaten auch US-Soldaten ins Land kommen.

Aufruf an Streitkräfte

"Heute richte ich einen Aufruf an die Streitkräfte: In wenigen Tagen habt ihr die Möglichkeit zu entscheiden, ob ihr auf der Seite von jemandem stehen wollt, um den es immer einsamer wird, oder auf der Seite von Hunderttausenden Venezolanern, die Lebensmittel und Medikamente brauchen", sagte Guaidó. Die Hilfslieferungen sollen in den kommenden Tagen von Kolumbien und Brasilien nach Venezuela geschafft werden. "Alles ist bereit. Hier die Frage an die Militärs: Soldat, wirst du deiner Familie die humanitäre Hilfe verweigern? Einmal mehr appelliere ich an euer Gewissen. Diese Hilfe ist dazu da, Leben zu retten."

Gelingt es dem selbst ernannten Interimspräsidenten tatsächlich, die Hilfslieferungen ins Land zu bekommen und an die notleidende Bevölkerung zu verteilten, dürfte ihm das viel Anerkennung bei den Venezolanern und zusätzliche Punkte im Machtkampf mit Staatschef Maduro einbringen.

Schwere Wirtschaftskrise

Das einst reiche Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Aus Mangel an Devisen kann Venezuela kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs importieren. Für das laufende Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer Inflationsrate von 1,37 Millionen Prozent, das Bruttosozialprodukt dürfte laut der Prognose um weitere 18 Prozent einbrechen. Viele Menschen hungern und rund drei Millionen Venezolaner sind bereits ins Ausland geflohen.

Maduro herausgefordert

Parlamentschef Guaidó hatte sich vor knapp zwei Wochen zum Interimspräsident erklärt und Staatschef Maduro offen herausgefordert. Die USA, viele Staaten in Lateinamerika und zahlreiche europäische Länder, darunter auch Österreich, haben den jungen Abgeordneten mittlerweile als legitimen Übergangspräsidenten anerkannt. "Die demokratische Welt erkennt den Kampf der Venezolaner an", sagte Guaidó am Montag.

Keine echte Machtposition

Allerdings verfügt er in Venezuela selbst über keine echte Machtposition. Alles hängt davon ab, ob es ihm gelingt, die Militärs auf seine Seite zu ziehen. Zumindest die Führungsriege hält noch immer treu zu Maduro. Viele Generäle besetzen lukrative Posten in der Erdöl- und Finanzwirtschaft, Offiziere kontrollieren die Verteilung von Lebensmitteln und den Bergbau. Zudem sollen viele Militärs in kriminelle Geschäfte verwickelt sein. Sie haben kein Interesse an einem Regierungswechsel.

Soldaten leiden

Unter den einfachen Soldaten hingegen soll es rumoren. Sie genießen keine Privilegien wie ihre Vorgesetzten, sondern leiden wie die Zivilbevölkerung unter der schlechten Versorgungslage. Allerdings werden die Mannschaften vom Geheimdienst streng kontrolliert. Kleine Aufstände werden schnell niedergeschlagen. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano wurden im vergangenen Jahr mindestens 180 Militärs wegen politischer Verbrechen festgenommen.

Guaidó versprach den Soldaten bereits Straffreiheit, wenn sie bei der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung helfen. Jetzt macht er ihnen ein weiteres Angebot, um ohne Gesichtsverlust überzulaufen: Lassen sie die Hilfslieferungen passieren, würden sie sich auf die Seite des notleidenden Volkes stellen. Sie wären dann Helden, keine Verräter.

Aufruf der Lima-Gruppe

Die sogenannte Lima-Gruppe aus Argentinien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panama, Paraguay und Peru rief die Streitkräfte am Montag auf, sich dem Kommando von Guaidó zu unterstellen. "Wir fordern das Militär dazu auf, die internationale Hilfe ins Land zu lassen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Für Maduro forderte die Gruppe Sanktionen, so etwa sollte der Zugriff auf internationale Vermögenswerte Venezuelas untersagt werden.

In der kommenden Woche soll eine internationale Geberkonferenz zugunsten des südamerikanischen Landes abhalten. Die Konferenz am 14. Februar habe zum Ziel, humanitäre Hilfe für Venezuela zu organisieren, teilte am Montag die Repräsentanz des Guaidó-Lagers in der US-Hauptstadt mit.