In Kampf um die Macht in Venezuela zwischen Staatschef Nicolás Maduro und seinem jungen Herausforderer Juan Guaidó läuft am Wochenende ein Ultimatum von sieben EU-Staaten ab. Ruft Maduro keine freie und faire Präsidentenwahl aus, wollen Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien, die Niederlande und Belgien seinen Rivalen Guaidó als legitimen Übergangsstaatschef anerkennen.
Die USA und zahlreiche weitere Länder haben das bereits getan. Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) deutete kürzlich an, dass Österreich bei einer Anerkennung Guaidós als Interimspräsident nicht vorpreschen werde. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe aber seine Unterstützung für Parlamentschef Guaidó ausgedrückt, so Kneissl.
"Frechheit"
Dass Maduro angesichts des Ultimatums klein beigeben würde, galt als unwahrscheinlich. Er hatte dies umgehend als "Frechheit" zurückgewiesen. Bei einer Großkundgebung am Samstag in Caracas sagte er: "Ich bin der wahre Präsident Venezuelas. Und wir werden weiter regieren." Die Militärführung und der Sicherheitsapparat stehen zu ihm - auch wenn ein General am Wochenende überlief.
Maduro sagte, er sei bereit, sich für die Vorziehung der eigentlich für 2020 anstehenden Wahl des von der Opposition dominierten Parlaments auf dieses Jahr einzusetzen. Diese Position hatte er allerdings auch schon vergangenen Mittwoch in einem Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti dargelegt. Eine Neuwahl des Präsidenten, wie sie Guaidó fordert, lehnt er weiterhin ab. Anschließend legte er ein Tanzeinlage vor seinen Anhängern ein. Maduro kann auf die Unterstützung Russlands, Chinas, der Türkei, Kubas, Boliviens und Nicaraguas sowie der Militärführer setzen, die viele wichtige Posten auch in der Wirtschaft besetzen.
Großdemo in Caracas
Bei einer Großdemonstration für Guaidó in Caracas sagte dieser vor Hunderttausenden Venezolanern dass der Februar in dem Machtkampf "entscheidend" sein werde. Es werde weitere Großkundgebungen geben, etwa am 12. Februar, der in Venezuela als Tag der Jugend gefeiert wird. Guaidós Anhänger riefen "Freiheit, Freiheit, Freiheit". Auf einem Plakat stand zu lesen, der venezolanische Sicherheitsapparat werde "fallen wie die Berliner Mauer".
Auftrieb bekam die Opposition durch das Überlaufen eines hochrangigen Militärs: Luftwaffengeneral Francisco Yánez gab in einem am Samstag in den Online-Netzwerken veröffentlichten Video bekannt, dass er Guaidó als Übergangspräsidenten des Landes anerkenne. Yánez prangerte die "diktatorische" Amtsführung von Maduro an und versicherte, "90 Prozent" der Streitkräfte würden nicht den "Diktator", sondern das "Volk" unterstützen. Vor Yánez hatte sich Venezuelas Militärattaché in Washington, José Luis Silva, von Maduro losgesagt. Nach der Erklärung von Yánez gab auch der pensionierte ehemalige Kommandeur der venezolanischen Luftstreitkräfte, Jorge Oropeza, seine Unterstützung für Guaidó bekannt.
Für Maduro ist diese Entwicklung Anlass zur Sorge: Das Militär ist die wichtigste Stütze seiner Macht. Maduro kündigte in der Rede am Samstag eine Aufstockung der Armee an, deren Unterstützung für seinen Verbleib an der Macht entscheidend ist. Dazu sollten zehntausende Milizionäre in die Armee eingegliedert werden.
John Bolton, Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, rief das Militär am Samstag auf Twitter erneut auf, zum Lager Guaidós überzulaufen. "Jetzt ist die Zeit, sich an die Seite des venezolanischen Volkes zu stellen", schrieb Bolton, der Maduros Regierung als "Diktatur" bezeichnet. Die USA unterhalten in anderen Weltregionen allerdings durchaus enge Kontakte zu autoritär gelenkten Ländern ohne demokratische Regierungen, etwa Saudi-Arabien oder Ägypten.
Hunger leidet nur das Volk
Ein Anhänger Guaidós äußerte sich skeptisch über die Rolle des Militärs. "Ich habe ziemliche Zweifel, dass sie die Opposition unterstützen werden, weil es ihnen mit Unterschlagungen und Schmuggel einfach zu gut geht", sagte der 63-jährige Fernando bei einer Großkundgebung Guaidós in der Hauptstadt. Hunger leide nur das Volk, und das sei wohl noch nicht ganz aufgewacht. "Aber worauf warten wir denn eigentlich? Dass wir alle verrecken? Entweder wir gehen auf die Straße, oder er (Maduro) verschwindet nie", sagte der Mann.
Venezuela befindet sich seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise. Obwohl das Land über die größten bekannten Erdölreserven weltweit verfügt, fehlen Lebensmittel und Medikamente, Hyperinflation macht Bargeld faktisch wertlos. Etwa drei Millionen Menschen sind bereits ins Ausland geflüchtet. Wie andere südamerikanische Länder leidet auch Venezuela zudem unter Korruption und krassen Unterschieden zwischen Arm und Reich. Seit die Ölpreise weltweit fielen, ging es mit der Wirtschaft steil bergab. US-Sanktionen trugen ihren Teil zum Niedergang bei.
Rede zum Jahrestag
Maduro sprach in Caracas vor seinen Anhängern aus Anlass des 20. Jahrestages des Amtsantritts seines Mentors Hugo Chávez. Der Oberstleutnant Chávez, Anführer eines gescheiterten Putschversuches 1992, hatte Ende 1998 die Präsidentenwahl gewonnen. Als Staatschef machte er sich mit kubanischer Unterstützung daran, das erdölreiche Land im Sinne eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" umzubauen. Chávez starb 2013 an Krebs, Maduro wurde in umstrittenen Wahlen zu seinem Nachfolger erkoren.
Guaidó kündigte für den 24. Februar erste humanitäre Hilfslieferungen aus dem Ausland an. Bolton teilte mit, die USA würden damit beginnen, Hilfslieferungen wie medizinische Geräte und Nahrungsmittel zu schicken. Wie sie gegen den Willen der Regierung Maduro ins Land kommen sollen, war unklar. "Wir brauchen Hilfskorridore, um Hunger und Krankheiten zu bekämpfen", sagte die 62-jährige Guaidó-Anhängerin Estela.
Maduro lehnt solche Lieferungen ab. In seiner Rede am Samstag sagte er: "Wir waren keine Bettler und wir werden keine Bettler sein". Seine Gegner schmähte er als "Bettler des Imperialismus". Auch in anderen Ländern demonstrierten am Wochenende Menschen gegen Maduro, so etwa in Spanien, Kolumbien und Argentinien.