Ein Meer gelb-blau-roter Fahnen, Hunderttausende auf den Beinen, flammende Reden, Jubel und Applaus. Die Großkundgebungen von Regierung und Opposition im südamerikanischen Krisenstaat Venezuela sahen sich am Samstag ziemlich ähnlich. Auch in ihrer Kompromisslosigkeit ähnelten sich die Hauptredner, der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaido und der umstrittene Staatschef Nicolas Maduro.

Ein Kompromiss oder eine Vermittlung waren weiter nicht in Sicht. Maduro bot eine Neuwahl an - aber nur eine des Parlaments, keine des Präsidenten, wie es Guaido fordert.

Der Oppositionsführer machte seinen Anhängern Hoffnung, der Machtwechsel stehe "unmittelbar" bevor. "Wir schwören: Wir bleiben auf den Straßen, bis es Freiheit, eine Übergangsregierung und Neuwahlen gibt", sagte Guaido in der Hauptstadt Caracas unter dem Jubel der Menge, die seine Worte im Chor wiederholte.

Maduro
Maduro © APA/AFP/YURI CORTEZ

Maduro aber zeigte sich bei einer offiziellen Kundgebung mit ebenfalls etwa hunderttausend Teilnehmern unbeeindruckt und warnte seinen Herausforderer: "Ich bin der wahre Präsident Venezuelas. Und wir werden weiter regieren."

Massenproteste in Caracas
Massenproteste in Caracas © APA/AFP/DIANA SANCHEZ

Der unter starkem internationalem Druck stehende venezolanische Präsident kündige vor seinen Anhängern vorgezogene Wahlen an. Die nächsten Parlamentswahlen sollten noch 2019 abgehalten werden, sagte Maduro. Ursprünglich waren die Wahlen für 2020 angesetzt.

Der venezolanische Staatschef hatte das von Opposition dominierte Parlament 2017 entmachtet und stattdessen eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen, in der die Anhänger Maduros den Ton angeben. In Mai 2018 gewann Maduro eine umstrittene Präsidentenwahl, die von der Opposition weitgehend boykottiert wurde.

Die Militärführung und der Sicherheitsapparat stehen zu Maduro - auch wenn ein General am Wochenende überlief. Das Weiße Haus forderte am Samstag das venezolanische Militär auf, sich auf die Seite Guaidos zu stellen,.

Maduro sprach vor seinen Anhängern aus Anlass des 20. Jahrestages des Amtsantritts seines Mentors Hugo Chavez. Es war Maduros erster Auftritt in der Öffentlichkeit seit einem angeblichen Anschlagsversuch gegen ihn mit zwei mit Sprengstoff beladenen Drohnen Anfang August.

Der Oberstleutnant Chavez, Anführer eines gescheiterten Putschversuches 1992, hatte Ende 1998 die Präsidentenwahl gewonnen. Als Staatschef machte er sich mit kubanischer Unterstützung daran, das erdölreiche Land im Sinne eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" umzubauen. Chavez starb 2013 an Krebs, Maduro wurde in umstrittenen Wahlen zu seinem Nachfolger gewählt. Venezuela ist wie andere südamerikanische Länder von Korruption und krassen Unterschieden zwischen Arm und Reich gekennzeichnet.

Wirtschaftliches Desaster

Seit die Ölpreise weltweit fielen, ging es mit der Wirtschaft steil bergab. Heute sind Lebensmittel und Medikamente knapp, etwa drei Millionen Menschen flohen ins Ausland. Guaido kündigte für den 24. Februar erste humanitäre Hilfslieferungen aus dem Ausland an. Wie sie gegen den Willen der Regierung Maduro ins Land kommen sollen, war unklar.

Demonstrationszug der Opposition
Demonstrationszug der Opposition © APA/AFP/JUAN BARRETO

Die Kundgebungen für und gegen Maduro lagen mehrere Kilometer voneinander entfernt, über gewaltsame Ausschreitungen wurde zunächst nichts bekannt. Bei den jüngsten Massenprotesten waren nach Medienberichten mindestens 35 Menschen ums Leben gekommen und rund 850 festgenommen worden.

Die sonst schnell gegen regierungskritische Demonstrationen einschreitenden Sicherheitskräfte hielten sich auffällig zurück. Im Bundesstaat Lara zog sich die Polizei sogar auf Bitten der Guaido-Anhänger zurück, wie die Zeitung "El Nacional" berichtet. Ob Maduro die Oppositionskundgebungen nicht verhindern konnte oder wollte, blieb unklar.

Für Guaido formierten sich auch in anderen Städten des südamerikanischen Ölstaates Demonstrationen. Der 35-Jährige, der sich vergangenen Monat selbst zum Interimspräsidenten proklamiert hatte, forderte erneut freie und faire Wahlen. Er wurde bereits von 20 Staaten anerkannt, darunter die USA, die einen Machtwechsel fordern. EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien hatten Maduro ultimativ aufgefordert, bis zum Wochenende Neuwahlen anzusetzen. Anderenfalls würden auch sie Guaido als Übergangspräsident anerkennen.

Maduro kann jedoch auf die Unterstützung Russlands, Chinas, Kubas, Boliviens und Nicaraguas sowie der Militärführung setzen, die viele wichtige Posten auch in der Wirtschaft besetzt.

Ein Luftwaffengeneral sagte sich jedoch am Samstag kurz vor Beginn der Demonstrationen von Maduro los und unterstellte sich dem Kommando Guaidos. "Ich erkenne die diktatorische Macht Nicolas Maduros nicht an", erklärte der Divisionsgeneral Francisco Yanez Rodriguez in einem auf Twitter verbreiteten Video.

Wo und wann das Video aufgenommen wurde, war nicht bekannt. Der Militär stellte sich als Planungschef der Luftwaffe vor und versicherte, dass 90 Prozent der Streitkräfte gegen Maduro seien. Allerdings gibt es in Venezuela spanischen Medienberichten zufolge etwa 2.000 Generäle. Luftwaffenchef General Pedro Alberto Juliac Lartiguez warf dem Zwei-Sterne-General "Verrat" vor. Guaido hatte vergangene Woche erklärt, die Opposition führe Gespräche mit führenden Militärs und Regierungsvertretern über einen Machtwechsel.

US-Vizepräsident Mike Pence stärkte Guaido demonstrativ den Rücken und rief zu einem Machtwechsel auf. "Die USA versuchen, mit diplomatischem und wirtschaftlichem Druck zu einem friedlichen Übergang zur Demokratie beizutragen. Aber: Alle Optionen sind auf dem Tisch", warnte Pence am Freitag in einer Rede vor Exil-Venezolanern in Florida.