Anlässlich seines Besuches in Wien hat der libysche Regierungschef Fayez Mustafa al-Sarraj mehr Einigkeit der Europäischen Union in ihrer Libyen-Politik gefordert. Kritik seitens der Union am Umgang mit Migranten und den Zuständen in libyschen Internierungslagern sei "unangebracht" und "inakzeptabel", sagte Sarraj am Montag im APA-Interview.
Vor allem, dass einige EU-Staaten "selbst nicht einmal einen Migranten aufnehmen wollen", gleichzeitig aber Libyen "ständig kritisieren", sei "inakzeptabel", so Sarraj. "Jene Länder, die sich um die Migranten in den Internierungslagern sorgen, rufen wir auf, direkt zu helfen - sie in ihre Länder zu holen oder bei den Rückführungen zu helfen", betonte der 58-Jährige. Der Chef der "Regierung der nationalen Einheit", die allerdings nur einen Bruchteil des Landes kontrolliert, plädierte in diesem Zusammenhang auch für die Ausweitung der Resettlement-Kontingente (Umsiedelung) des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR).
Umstrittene Internierungslager
Die libyschen Internierungslager, in die etwa im Mittelmeer aufgegriffene Personen automatisch gebracht werden, sind hochumstritten. Hilfsorganisationen kritisieren die dortigen Zustände als "unmenschlich" und berichten von schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigungen oder Versklavungen. "Wir sind absolut gegen alle Verstöße, die dort stattfinden. Die Verantwortlichen werden wir auf alle Fälle zur Rechenschaft ziehen", versicherte Sarraj. Doch müsse man auch im Hinterkopf behalten, wie schwierig die Situation in Libyen derzeit sei, zudem seien die Internierungslager auch nur als "temporäre" Lösung gedacht.
"Wir wissen, dass die Situation in den Internierungslagern nicht ideal ist, vor allem in den Regionen, die nicht unter unserer Kontrolle sind", räumte Sarraj ein. Seine Regierung tue aber alles in ihrer Macht stehende, um die Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen. Auch was die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen betreffe, sei man "sehr offen" gewesen. Und ohnehin würden sich nur 20.000 der insgesamt 800.000 Flüchtlinge und Migranten in Libyen in Internierungslagern befinden.
"Libyen ist Opfer, nicht Ursprung des Migrationsproblems"
Er sei sich bewusst, dass das Thema Migration für die EU Priorität habe und in einigen Ländern oft innenpolitisch missbraucht werde. Man müsse sich aber in Erinnerung rufen, dass das Thema ein "viel größeres" sei - ein Sicherheitsthema, ein humanitäres, ein wirtschaftliches Thema, betonte Sarraj. Libyen sei "eigentlich ein Opfer, wir sind nicht der Ursprung des Problems". Das Problem müsse an seinen Wurzeln gepackt werden, die Herkunftsländer der Migranten bräuchten mehr Entwicklung, erklärte er.
Angesprochen auf die Situation in Libyen und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern meinte Sarraj, dass er sich mehr Einigkeit seitens der internationalen Gemeinschaft wünschen würde. "Die Einigkeit der EU ist wirklich entscheidend für uns." Alles andere würde dazu beitragen, den Konflikt in dem nordafrikanischen Land zu verschlimmern.
"Wir wollen nicht, dass bestimmte Länder bestimmte Seiten hier in Libyen unterstützen", so Sarraj. Diese Uneinigkeit der EU, aber auch der UNO, werde von destruktiven Kräften in Libyen selbst dazu missbraucht, den Konflikt weiter am Köcheln zu halten.
UN wollen in Liyben vermitteln
Nach dem Willen des UNO-Sondergesandten für Libyen, Ghassan Salame, soll in "in den kommenden Wochen" eine 2018 in einem Konsultationsprozess vorbereitete "Nationale Konferenz" mit allen politischen Parteien stattfinden. Die Konferenz solle "so schnell wie möglich stattfinden", forderte Sarraj, der sich gleichzeitig für einen "inklusiven Prozess" aussprach. Alle Seiten müssten sich gemeinsam an einen Tisch setzen und ihre Standpunkte darlegen. Doch: "Je länger es dauert, desto mehr Potenzial für Konflikte und Krisen gibt es."
Geht es nach seiner Regierung, soll die Konferenz in Libyen stattfinden. "Das ist nicht unmöglich, es ist definitiv machbar", betonte er. Vom Ausgang der Konferenz werde auch die Abhaltung der Wahlen - sie wurden im Dezember auf das Frühjahr verschoben - abhängen. Vor allem müssten entsprechende Gesetze verabschiedet und der strategische Rahmen abgesteckt werden, so Sarraj. Das sei bis jetzt noch nicht passiert.