Sie treten für die ÖVP an. In grundsätzlichen Fragen waren Sie in den letzten Monaten oft anderer Meinung als Parteichef Sebastian Kurz. Haben Sie lang überlegt, ob Sie unter dem Dach der ÖVP kandidieren sollen?

OTHMAR KARAS: Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, ob ich überhaupt noch einmal kandidieren soll. Wenn man seit 1984 den proeuropäischen Kurs der ÖVP mitbestimmt, wenn man aus der Schule des Alois Mock kommt, war für mich klar, dass ich das Angebot des Kanzlers annehme. Wir haben viele Gespräche miteinander geführt. Das war keine Selbstverständlichkeit. Wir haben intensiv über die unterschiedlichen Zugänge geredet.


Was war ausschlaggebend, dass sie eingewilligt haben?

KARAS: Die ÖVP hat ein Team nach dem Motto der EU gebildet: In Vielfalt geeint. Es war für mich wichtig, dass mir der Kanzler jegliche Freiheit gegeben hat und mein Programm nicht einschränken wollte.

Sie müsse sich nicht verbiegen?

KARAS: Nein. Das würde ich auch nicht. Ich will Österreichs Rolle in der EU stärken und die EU handlungsfähiger machen. Dazu müssen wir das europäische Projekt beleben. Die EU leidet unter einem Glaubwürdigkeitsverlust, weil sie an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit gestoßen ist. Nur eines ist klar: Die Fragen, die die Menschen beschäftigt, Digitalisierung, Steueroasen, Klimaschutz, Globalisierung, Migration, Terrorismus, Cyberwar, kann von keinem Land alleine gelöst werden. Wir dürfen nicht zerrieben werden zwischen Amerika, Russland und China.
Wie wollen Sie aus der tiefen Glaubwürdigkeitskrise herauskommen?
Wir beschäftigen uns leider viel zu sehr mit Schuldzuweisungen. Der Bürger hat ein Recht auf Lösungen. Dazu braucht es aber Mehrheiten, die man nur findet, wenn man zum Miteinander bereit ist – und nicht, indem man zerstört.

Sie spielen hier offenkundig auf die FPÖ an, mit der die ÖVP in Österreich koaliert – und die in der EU der große Gegenspieler ist. Wie passt es zusammen?

KARAS: Die EU-Wahl ist keine stellvertretende Nationalratswahl. In Österreich ist die Basis der Kooperation das Regierungsprogramm, in dem Europa außer Streit gestellt wurde. Die EU-Wahl ist eine Auseinandersetzung zwischen Personen, Programmen und Wertvorstellungen. Vilimsky hat mir den Fehdehandschuh hingeworfen.

Sie heben ihn auf?

KARAS: Nein. Das ist nicht mein Stil. Was Vilimsky in Europa vertritt, ist zum Nachteil Österreichs. Wenn er ein Bündnis mit der AFD schmieden will, die die Auflösung des EU-Parlaments, das Ende der Klimaschutzpolitik, den Ausstieg aus dem Euro, den Austritt Deutschlands aus der EU betreibt, dann ist das die Visitenkarte des Herrn Vilimsky. Das ist ein Beitrag zur Zerstörung Europas. Mit mir gibt es bei so einem Programm keine Zusammenarbeit.

In Österreich ist die FPÖ Koalitionspartner, in Europa politischer Gegner der ÖVP? Ist das nicht schizophren?

KARAS: Schizophren ist, was in der FPÖ vor sich geht. Was Vilimsky in Europa macht, steht im eklatanten Widerspruch zum Regierungsprogramm in Österreich. Ich reduziere mich nicht auf die Auseinandersetzung, sondern versuche die Blockierer zu schwächen, indem ich die positiv denkenden Menschen mobilisiere. Die sind eindeutig in der Mehrheit.

Eine Koalition mit der FPÖ wird es nicht geben?

KARAS: Mit diesem Programm und mit diesen Partner in Europa sicherlich nicht.

Jetzt hat der Innenminister gemeint, das Recht habe der Politik zu folgen. Das Recht ist doch nicht gottgegeben? Hat Kickl nicht teils recht?

KARAS: Ich kann nur mit Immanuel Kant antworten: Das Recht muss nie der Politik, aber die Politik jederzeit dem Recht angepasst werden. Wer das Recht und die Werte infrage stellt, rüttelt an den Grundfesten des Zusammenhalts einer Gesellschaft. Solange es den Ordnungsrahmen gibt, muss man sich daran halten. Man kann nicht wegen Umfragen oder wahltaktischen Überlegungen die Spielregeln infrage stellen. So was ist am tagespolitischen Basar nicht erlaubt.

Aber das Recht ist doch dem historischen Wandel unterworfen?

KARAS: Die Grundrechte sind noch nicht einmal in allen Länder durchgesetzt.. Wozu sind sie denn da? Damit eine Minderheit nicht von einer Mehrheit unterdrückt wird. Sie bilden die Grundlage für die politische Auseinandersetzung. Die EU ist nahezu idealtypisch dafür. Im EU-Parlament hat kein Land, keine Fraktion, keine Person eine Mehrheit. Wir müssen aufeinander zugehen und um Lösungen ringen.

Die EU ist der ewiger Kompromiss?

KARAS: Ja, das ist das Wesen der Demokratie. Das habe ich gelernt. Die Durchsetzung der Idee Europa ist das Beste für Österreich. In einer Demokratie können die Entscheidungsprozesse länger dauern. In einer Diktatur geht es schnell, aber es geht den Menschen nicht besser.

Hat Ihnen der ÖVP-Chef den Posten des EU-Kommissars versprochen?

KARAS: Nein. Jetzt geht es um die Wahlen zum Europäischen Parlament. Dem gilt nun meine ganze Kraft und Begeisterung.