Seit knapp vier Jahren wird in der weißrussischen Hauptstadt Minsk über einen Frieden für die Ostukraine verhandelt. Zwar haben die Kämpfe spürbar nachgelassen, doch eine umfassende Feuerpause an der 400 Kilometer langen Frontlinie ist ebenso wenig in Sicht wie eine Friedenslösung. Der Chefvermittler bei den Gesprächen in Minsk ist als Vertreter der OSZE der erfahrene österreichische Diplomat Martin Sajdik. Gemeinsam mit anderen führenden Diplomaten der OSZE hat er nun einen Friedensplan ausgearbeitet, der aus der Sackgasse herausführen soll, in der sich die Verhandlungen in Minsk befinden. Unser Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz hat den Plan gelesen, und mit Botschafter Martin Sajdik das nachfolgendes Interview geführt:
Sie haben jetzt ein neues Diskussionspapier für einen Friedensplan in der Ostukraine vorgelegt. Was ist die zentrale Botschaft dieses Papiers?
MARTIN SAJDIK: Wir haben über die Jahre gesehen, was in der Minsker Vereinbarung nicht ganz geklärt ist. Ein wesentlicher Punkt ist, dass für die Umsetzung des zentralen Elements, für die Durchführung von Lokalwahlen, Hilfe von außen notwendig ist. Wir sind zur Ansicht gekommen, dass das nur die UNO sein kann. Die OSZE hat die Aufgabe, die Wahlen zu beurteilen, daher kann sie auch nicht die Wahlen organisieren. Hinzu kommt der gesamte Sicherheitsaspekt. Auch hier ist es notwendig, die UNO beizuziehen, weil die bisherigen OSZE-Beobachter, das sind nur knapp 600, die in der Ostukraine tätig sind für ein Gebiet von 17.000 Quadratkilometer, eine Frontlinie von mehr als 420 Kilometer, das können die nicht alleine schaffen.
Vorgesehen ist in diesem Friedenskonzept eine Kombination von UNO und OSZE als Träger dieser Mission sowie eine Organisation für Wiederaufbau gestellt von der EU. Wie sehen Sie das konkrete Zusammenwirken?
SAJDIK: Wir stellen uns vor, dass die UNO und die OSZE unter einer einzigen Person und unter einer gemeinsamen Führung steht; ein sogenannter Spezieller Repräsentant, nicht parallel, sondern zusammen. Das gilt sowohl für eine militärische Komponente als auch für eine Polizei-Komponente auf der UNO-Seite und weiterhin für die OSZE-Beobachtermission, die schon vor Ort ist. Die Wiederaufbauagentur steht nicht unter dieser gemeinsamen Leitung; sie soll nach unserem Konzept von der EU organisiert werden, nach dem Vorbild dessen, was es schon für den Balkan gab; das war eine sehr effiziente Agentur, die sehr schnell und effizient gearbeitet hat. Diese Agentur würde zuarbeiten, aber nicht unter dieser Führung stehen. Diese Agentur soll in den gesamten Kreisen von Donezk und Lugansk tätig sein.
"Die Friedensvereinbarung von Minsk haben die Präsidenten der Ukraine, Russlands, Frankreichs und die deutsche Bundeskanzlerin mitverhandelt. Unterschrieben haben dieses Dokument aber je ein Vertreter der OSZE, der Ukraine und Russlands, sowie zwei Führer aus Donezk und Lugansk. Der Führer aus Donezk wurde im Vorjahr ermordet, der Führer aus Lugansk entmachtet. Ihr Friedensplan sieht einen neuen Ansatz vor, dass die Vertreter des sogenannten Normandie-Formats, die Staats- und Regierungschefs aus Russland, der Ukraine, aus Frankreich und Deutschland das neue Dokument unterzeichnen sollen. Warum?
SAJDIK: Genau, das ist das zentrale Element. Es braucht einen Vertrag, der wirklich politisch und rechtlich Gewicht hat. Die Minsker Vereinbarungen haben weder das russische noch das ukrainische Parlament ratifiziert. Das ist natürlich ein Problem. Unsere Idee ist, dieses politische Gewicht zu haben, an das sich dann auch alle halten um Durchführung und Umsetzung des Dokuments zu haben, das auch von den Parlamenten abgesegnet wird.
Die erfolgreichste UNO-Mission am Balkan war die friedliche Reintegration von Ost-Slawonien in den kroatischen Staat. Dabei wurden auch die lokalen Serben in Ostslawonien eingebunden. In welcher Form sollen auch die prorussischen Machthaber in Donezk und Lugansk eingebunden werden?
SAJDIK: Ich möchte mich nicht auf das Beispiel von Ostslawonien beziehen. Natürlich haben wir das genau studiert, doch das ist nicht unser Vorbild. Die Minsker Vereinbarungen sehen klar vor, dass die Vertreter der sogenannten besonderen Gebiete aus Donezk und Lugansk an dem Prozess teilnehmen und gehört werden. Was wir uns vorstellen ist, dass das auch nach der Annahme eines umfassenden Vertrages so sein soll. Es muss gewährleistet werden, dass das, was in den Minsker Verträgen drinnen steht, dass diese Bevölkerung in den Regionen von Donezk und Lugansk auch wirklich die Rechte bekommen, die in den Minsker Vereinbarungen drinnen stehen. Dazu zählt auch die sprachliche Selbstbestimmung.
In den vergangenen vier Jahren haben sich diese Gebiete sehr stark von der Ukraine weg entwickelt. Das gilt für das Rechtssystem, die de facto Integration nach Russland, gilt auber auch für die emotionale Seite, nicht zuletzt durch die unterschiedliche Mediennutzung. Wie sollen diese Gräben überwunden werden und die Reintegration erfolgen. Da geht es auch um die Anerkennung von Dokumenten, vom Schulzeugnis, von der Geburts- bis zur Sterbeurkunde.
SAJDIK: Ich bin überzeugt, dass im Falle einer politischen Gesamtlösung diese Rechtsfragen, die für das tägliche Leben der Bevölkerung wichtig sind, einer pragmatischen Lösung zugeführt werden können. Darüber soll auch eine leichte Übergangsverwaltung der UNO, die wir uns auch vorgestelt haben, die soll das überwachen, damit das auch wirklich umgesetzt wird. Der Sinn dieser Maßnahme ist nicht, dass man die lokale Bevölkerung entmachtet, sondern im Gegenteil, dass man garantiert, dass ihre Rechte auch umgesetzt werden. Dazu kommt auch noch das Element der Amnestie, das ist der Hintergrund.
Wie viele Personen werden für diese Mission nötig sein. Es gab ja Planungen für UNO-Friedensmissionen in der Ostukraine, da war von 20.000 Soldaten die Rede?
SAJDIK: Wir haben das nicht genau durchgezählt. Ich glaube aber nicht, dass man mit derart großen Ziffern operiert. Ich glaube, da kann man sich bescheiden, und es gibt genug internationale Beispiele, wo die UNO nicht mit einer riesigen Anzahl von Kräften auftritt.
Gibt es bereits Reaktion aus den Staatskanzleien in Berlin, Paris, Moskau und Kiew auf diese Initiative?
SAJDIK: Wir haben diesen Plan präsentiert in Mailand im Dezember während des letzten OSZE-Ministerrates, da waren die Vertreter dieser Staaten auch anwesend, und haben schon Fragen stellen und Kommentare abgeben können. Eine offizielle Reaktion haben wir nicht, und ich glaube, das ist auch nicht notwendig. Das Wesentliche ist, dass wir die Möglichkeit aufzeigen wollen, dass es Wege gibt, wenn man daran arbeiten will, dass es eine Möglichkeit gibt, aus der aktuellen Situation herauszukommen, wo leider nicht sehr viel weitergeht.
Die Ukraine steht im Wahlkampf; im ersten Halbjahr haben wir die Wahl des Präsidenten, im zweiten Halbjahr Parlamentswahlen. Wahlkampfzeiten sind nicht sehr gut für weitreichende Entscheidungen. Andererseits fehlte bereits bisher der politische Wille, Minsk umzusetzen. Welche Hoffnungen haben Sie, dass es im Falle dieses Plans anders sein wird?
SAJDIK: Wenn man keine Hoffnung hat, dass es die Möglichkeit und den Willen gibt, diese Vereinbarungen umzusetzen, dann soll man so eine Tätigkeit überhaupt nicht ausüben, wie ich sie gerade mache. Die Hoffnung hat man immer. In der Ukraine wird auf jeden Fall eine neue Ära kommen, auch wenn der jetzige Präsident weiter im Amt bleibt. Das ist dann trotzdem eine neue Etappe mit neuem Schwung und neuen Ideen. Da glaube ich, kommen wir mit dem, was wir jetzt vorschlagen, genau richtig.
Kann man sagen, die Zeit des Wahlkampfs kann als Sickerprozess dienen, damit wenn etwa auch in der Ukraine die politischen Verhältnisse wieder klar sind, dass man bereit ist, auf der Grundlage dieses Papiers wirklich in ernsthafte Verhandlungen einzutreten?
SAJDIK: So ist es.
Christian Wehrschütz aus Kiew