Ein Meer blau-weißer griechischer Fahnen, dazwischen prominente Politiker, Akademiker aus der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki, Landwirte von der griechisch-mazedonischen Grenze, Familien aus dem südlichen Kreta: Mehr als 100.000 Griechen haben am Sonntag gegen das Namensabkommen Athens mit dem Nachbarland demonstriert.
Anarchisten und Hooligans randalierten wie bei griechischen Demos üblich, aber unabhängig davon ist der Namensdisput ein Thema, dass die griechische Volksseele kochen lässt. Denn bei einer Reise durch Mazedonien ging noch bis vor kurzem so manchem Hellenen der Hut hoch. Da fuhr man über die Autobahn "Alexander der Mazedonier" vorbei am Flughafen "Alexander der Große". Oder erblickte in der Hauptstadt Skopje ein bombastisches Denkmal Alexanders des Großen mit erhobenem Schwert auf einem sich aufbäumenden Hengst - ausgerechnet jenes Volkshelden also, der um 330 v. Chr. herum das Zeitalter des Hellenismus begründete.
Eine große Mehrheit der Griechen begehrt auf
Autobahn und Airport wurden nach dem Abgang der früheren nationalkonservativen Regierung umbenannt, um bei den Verhandlungen zwischen Athen und Skopje über eine Umbenennung Mazedoniens die Wogen zu glätten. Aber dennoch sind mehr als 70 Prozent der Griechen gegen den neuen Namen "Nord-Mazedonien", den Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein mazedonischer Amtskollege Zoran Zaev, ein Sozialdemokrat, vergangenes Jahr ausgehandelt haben.
Außer für die Griechen ist Aufregung für viele in Europa nur schwer zu verstehen. In Österreich sagte man zu dem Balkanland einfach Mazedonien. International aber läuft es unter dem Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, weil Athen sich seit dem Zerfall Jugoslawiens vor knapp 30 Jahren weigert, den Namen Mazedonien anzuerkennen. Erfolgreich blockiert das EU- und NATO-Mitglied Griechenland seither die Annäherung Mazedoniens an beide Blöcke.
Das eine Mazedonien gibt es nicht
In der Tat umfasst das geografische Gebiet Makedonien beides: die ehemalige jugoslawische Republik und die Region Makedonien in Nordgriechenland. Auf das kulturelle Erbe des historischen Makedoniens unter Alexander dem Großen, das sich Historikern zufolge hauptsächlich im heutigen Nordgriechenland erstreckte, wollen die Griechen jedoch nicht verzichten. Und auch das Nachbarland hat sich in der Frage in den vergangenen Jahrzehnten kaum versöhnlich gezeigt.
Neben der Autobahn und dem Flughafen mit Namen des antiken Feldherren nahe Skopje gab es auch mazedonische Schulbücher, die eine Ausweitung des Landes bis einschließlich der griechischen Halbinsel Chalkidiki zeigen. In der ersten mazedonischen Verfassung war zudem die Rede von möglichen Grenzänderungen und den Rechten der Angehörigen des mazedonischen Volkes. Entsprechend fürchten viele Griechen, der Nachbar könne über kurz oder lang Gebietsansprüche stellen.
Nun aber stehen die patriotischen Anliegen beider Länder handfesten wirtschaftlichen und internationalen politischen Interessen gegenüber. Sowohl NATO als auch EU wünschen sich Stabilität auf dem Balkan. Sie würden eine künftige Mitgliedschaft Mazedoniens begrüßen, auch weil Russland dort keinen Einfluss mehr gewinnen soll.
Für die griechische Wirtschaft ist Mazedonien ein wichtiger Handelspartner, so wie umgekehrt Mazedonien auf den Hafen von Thessaloniki angewiesen ist. Ganz abgesehen davon, dass es zwischen den Bürgern regen Austausch gibt und jedes Jahr viele der künftigen Nord-Mazedonier an griechischen Stränden urlauben.
Tsipras wirbt offensiv für den Vertrag
Die griechische Regierung hat veranlasst, dass der Vertrag zum Namensabkommen an diesem Wochenende allen Zeitungen beiliegt. Und darin können die Griechen Erstaunliches lesen, wie ein politischer Beobachter in Athen sagt: "Der Vertrag ist die sehr gute Lösung eines Problems, bei der es keine Sieger, sondern nur die bestmöglichen Kompromisse geben kann."
Das Schriftstück unterscheidet explizit zwischen dem politischen Nord-Mazedonien und einem Mazedonien im "historischen Kontext mit kulturellem Erbe". Tsipras betonte vergangene Woche im griechischen Parlament, Skopje habe zugesagt, dass mit dem vertraglichen Begriff "Nationalität" die Staatsbürgerschaft gemeint sei, jedoch nicht die Ethnie der Bürger des Landes definiert werde. Rund 25 Prozent der Einwohner des künftigen Nord-Mazedonien sind ohnedies ethnische Albaner. Auch Grenzänderungen schließt das Dokument kategorisch aus.
Weil das in den Augen etlicher griechischer Politiker ein guter Kompromiss ist, wird das Abkommen im Parlament kommende Woche vermutlich genehmigt. Allerdings nicht ohne Gegenwehr. "Was hat Griechenland davon?", fragen aufgebrachte konservative und rechte Politiker in Talkshows. Einen stabileren Nachbarn im Norden, der Konzessionen macht, argumentieren jene, die für das Abkommen sind. Denn letztlich habe Griechenland die gravierendsten Probleme nicht mit Nord-Mazedonien, sondern mit dem östlichen Nachbarn Türkei.
So jedenfalls argumentiert der ehemalige griechische Außenminister Nikos Kotzias, der den Namens-Deal eingefädelt hat und wegen eines Streits darüber im Oktober zurückgetreten war. Er erklärte, das Abkommen habe nicht nur finanzielle, soziale, nationale und geostrategische Vorteile. Es sei besser für Griechenland, seine diplomatischen Kräfte für wichtigere Fragen zu sparen - unter anderem für das Zypern-Problem und den schwierigen Nachbarn Türkei.