Vernichtend fällt das Presseecho auf die historische Niederlage der britischen Premierministerin Theresa May bei der Unterhausabstimmung über ihren Brexit-Deal aus. "Eine umfassende Demütigung", titelt am Mittwoch der "Daily Telegraph", der wie praktisch alle Zeitungen darauf hinweist, dass noch kein britischer Premierminister eine größere Niederlage hat einstecken müssen.
Die führende Boulevardzeitung "The Sun" porträtiert May als ausgestorbenen Vogel "Dodo" ("Mays Brexit-Deal ist tot wie ein Dodo") und schreibt in großen Lettern: "Brextinct" (Ausgebrexit). "Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen", titelt der "Daily Mirror" mit Blick auf das von Oppositionsführer Jeremy Corbyn ausgerufene Misstrauensvotum gegen May. "Sie kämpft um ihr Leben", ist auf der Titelseite der "Daily Mail" zu lesen, während die U-Bahn-Zeitung "Metro" von der "Größten Niederlage aller Zeiten" spricht. Mit einem Wort begnügt sich der "Scotsman": "Zerschmettert".
"Times" (London): "Das Land ist mit einer Krise konfrontiert und es nicht klar, ob Theresa May Teil des Problems oder Teil der Lösung ist. Sie hatte schlechte Karten, aber sie hat sie auch außerordentlich schlecht gespielt. (...) Wenn ihr Vermächtnis in etwas anderem bestehen soll, als die glücklose Premierministerin gewesen zu sein, die das Land ins Chaos geführt und den Weg für eine Regierung unter (Labour-Führer Jeremy) Corbyn geebnet hat, muss sie zu Kompromissen bereit sein, um die Annahme irgendeiner Form ihres Deals noch zu ermöglichen. Das bedeutet, alles dafür zu tun, einen EU-Austritt ohne Vertrag zu verhindern und Maßnahmen zu akzeptieren, die sie bisher abgelehnt hat. Dazu gehört die Bereitschaft zu einer dauerhaften Zollunion oder auch der Aufruf an die Wähler, den EU-Deal in einem zweiten Referendum zu unterstützen - wie unattraktiv das im Moment auch aussehen mag. Es erscheint nun fast unvermeidlich, dass sie um einen Aufschub für den Brexit über den März hinaus bittet. Wenn May unwillig ist, das Notwendige zu tun, um ein Chaos zu vermeiden, wird das Parlament eine Führungspersönlichkeit finden müssen, die dazu bereit ist."
"Telegraph" (London): "Was Frau May grundsätzlich nicht verstanden hat, ist, dass man zur Umsetzung des Referendums klar mit Europa brechen muss. Das erfordert, sich für eine Seite zu entscheiden und sich für sie einzusetzen. Ihr Versuch, alle - einschließlich Brüssel - zufriedenzustellen - hat am Ende niemanden zufriedengestellt. Das Ausmaß ihrer Niederlage ist der Beweis."
"Independent" (London): "Bald wird die souveräne Entscheidung über den Brexit daher auf die ein oder andere Weise ihren Weg zurück zur Wählerschaft finden. (...) Alle, die 2016 abgestimmt haben, können noch einmal abstimmen. Sie können erneut für den Brexit stimmen, wenn sie wollen. Sie können aber auch zu dem Schluss kommen, dass der Brexit sich, aus welchem Grund auch immer, nicht als das leicht umzusetzende Paradies der Möglichkeiten erwiesen hat, das ihnen einst präsentiert wurde."
"Guardian" (London): "Eine fehlende Führung kann zu einem Gefühl der Panik führen, das von einer Regierung noch verstärkt wird, die Lebensmittel- und Medikamentenvorräte anlegt, als bereite sie sich auf einen Krieg vor. Wir müssen dem Chaos und der Spaltung ein Ende setzen, die soviel dazu beigetragen haben, unser Land zu entstellen."
Zur Ablehnung des Brexit-Deals urteilen auch internationale Zeitungen am Mittwoch vernichtend:
"New York Times": "Andere Länder der (Europäischen) Union, einschließlich Dänemark und Irland, haben zweimal über europäische Verträge abgestimmt und das ursprüngliche Ergebnis umgekehrt. Sofern sich das sagen lässt, sind sie weiterhin blühende Demokratien. Menschen können ihre Meinung ändern und überleben. Der Weg von hier zu einer zweiten Abstimmung verläuft nicht in einer geraden Linie, aber wenigstens zeichnet sich seine Richtung ab. Es gibt keine guten Lösungen für die derzeitige Pattsituation, aber ein zweites Referendum wäre nicht die schlechteste. Die gesamte Debatte steht einem klaren Faktum gegenüber: Ein Brexit schadet dem britischen nationalen Interesse. Kein Abkommen kann das beschönigen. May hat es versucht und ist gescheitert. Die Briten und insbesondere die britische Jugend verdienen das Recht, ihre Zukunft auf der Basis der Realität langfristig selbst zu bestimmen."
"Tages-Anzeiger" (Zürich): "May hat seit langem gewusst, dass sie weder in der eigenen Partei noch im Unterhaus für eine Mehrheit sprach. Der dringend nötige Brückenschlag zur "anderen" Seite" - zu nüchternen Tories, zu moderaten Labour-Leuten - ist unterblieben. Wertvolle Zeit ist vergeudet worden. In der Hitze des Gefechts seit 2016 haben sich gefährliche Fronten gebildet, in Westminster wie im ganzen Land. Am dringlichsten ist wohl, dass sich im Parlament jetzt eine klare Mehrheit formiert, die eine "No Deal"-Katastrophe, den "Sprung über die Klippe", verhindert. Das wäre der erste Schritt. Stattdessen ist aber erst einmal mit weiteren schweren Turbulenzen zu rechnen."
"Neue Zürcher Zeitung": "Früher traten Regierungschefs zurück, wenn sie eine wichtige Abstimmung verloren hatten, auch bei unwichtigeren Niederlagen. May aber wird freiwillig nicht gehen, aus zweierlei Gründen. Erstens würde die Krise kaum gemildert, wenn in den nächsten Wochen Neuwahlen stattfinden müssten. Zweitens führte das Parlament 2011 eine Gesetzesänderung ein, die fixe Legislaturperioden von fünf Jahren vorsieht. Der demokratischen Tradition steht somit der Buchstabe des Gesetzes entgegen. Das könnte noch zu einer Verfassungskrise führen."
"De Tijd" (Brüssel): "Auch nach der historischen Niederlage von (Premierministerin Theresa) May bleibt der Kern des Problems derselbe: Die britische Politik ist in der Frage, wie man mit dem Brexit umgehen sollte, hoffnungslos entzweit. Klar ist nur, was die Briten nicht wollen: den jetzigen Deal. Wie es nun weitergehen soll, ist offen. Die Chance, dass das ausgehandelte Brexit-Abkommen kurzfristig so angepasst wird, dass plötzlich eine Mehrheit entsteht, ist gering. Natürlich kann die britische Regierung einen Aufschub beantragen und versuchen, den fatalen Termin 29. März zu verschieben. Dann müssten alle europäischen Mitgliedstaaten dem zustimmen. Die Frage ist nur, warum sie dies tun sollten. Wenn das Vereinigte Königreich keine Ahnung hat, wohin es eigentlich will, was kann Europa dann noch tun?"
"Les Dernières Nouvelles d'Alsace" (Straßburg): "Eine fluchbeladene Heldin, die allen Widerständen zum Trotz am Ruder eines abdriftenden Schiffes verbleibt. Es gibt wohl in der westlichen West keinen Regierungschef, der so erniedrigt, verurteilt und verraten wurde wie die britische Premierministerin. Und dennoch gibt sie nicht auf. Hundert Mal hat man sie am Boden gesehen. Hundert Mal ist sie wieder aufgestanden - und keiner weiß, ob es sich um Mut oder Leichtfertigkeit handelt."
"La Repubblica" (Italien): "Das Abkommen, über das zweieinhalb Jahre mit der Europäischen Union verhandelt wurde, wurde abgelehnt. Und Großbritannien gleicht einer abdriftenden Insel. Der Brexit scheint zurück an seinem Ausgangspunkt zu sein. Es gibt viele Spekulationen, aber keinerlei Sicherheit. Alles scheint möglich."
"De Telegraaf" (Amsterdam): "Das politische Chaos rings um den Brexit ist komplett. Nie zuvor in der Geschichte des britischen Parlaments hat eine Regierung eine derart große Niederlage erlitten, wie sie ihr bei der Abstimmung über das mit Brüssel vereinbarte Brexit-Abkommen bereitet wurde. Ein Deal, an dem zwei Jahre lang gearbeitet wurde und mit dem die härtesten Folgen des britischen EU-Austritts abgemildert werden sollten. Nun bleibt Großbritannien und der EU kaum noch Zeit, eine wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern. Diese Niederlage kann nur dazu führen, den Austritt der Briten aus der EU zu verschieben. Es sei denn, Brüssel bleibt hart. Dann käme es am Stichtag 29. März zu einem knallharten Brexit mit allen entsprechenden Folgen. Der Brexit-Deal ist jedenfalls, wie es im Unterhaus hieß, tot wie ein Dodo. Niemand glaubt daran, dass die Briten einen 'Plan B' haben."