Als wir vor einem Jahr über Ihren Seitenwechsel von der Analystin und Journalistin in die Politik sprachen, freuten Sie sich auf die Gestaltungsmacht als Ministerin. Wie geht es Ihnen, und wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
KARIN KNEISSL: Gut – ich bin gesund und habe das Glück, dass sich mein kleines Landleben mit Bauernhof vereinbaren lässt mit der neuen Aufgabe. Ich bin zwar viel auf Achse, doch mein Mann springt immer mehr ein. Heute früh habe ich aber wieder wie gewohnt selbst den Stall ausgemistet. Was das Berufliche angeht, waren die übrigen 365 Tage schon geprägt von einem „Hurra, da ist etwas weitergegangen“ – man konnte gestalten. Die Beziehungen zur Türkei zum Beispiel haben eine neue Qualität erreicht, auch wenn es rund um den Wahlkampf das eine oder andere Hickhack gab. Dennoch ist es mit viel Beharrlichkeit gelungen, Ephesos wieder zu eröffnen. Wir haben auf Ebene der politischen Konsultationen wieder Kontakt. Andere Bereiche, die mir wichtig sind, sind Syrien und Jemen. Syrien ist dermaßen vermint, dass ein normaler Alltag nicht vorstellbar ist. Wir wollen im Nordosten und in Raqqa, der ehemaligen IS-Hochburg, eine größere Initiative zur Minenräumung setzen, um die Rückkehr von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen aus den Nachbarländern, die freiwillig zurückkehren wollen, zu ermöglichen.
Gibt es auch Bereiche, die aus Ihrer Sicht nicht so gut gelaufen sind oder ausbaufähig sind?
Beim EU-Vorsitz hatten wir mehrere Schwerpunkte. Einer davon ist Südosteuropa und die Heranführung an die EU. Wir haben uns da sehr für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina engagiert. Hier müssen die Beteiligten zurück an den Start. Bei allem Bemühen hat sich das Verhältnis zwischen dem Kosovo und Serbien verschlechtert – vom Streit über die Interpol-Mitgliedschaft über neue Zölle und die Schaffung einer kosovarischen Armee. Aber zumindest konnte vergangene Woche mit Serbien und mit Montenegro ein neues Verhandlungskapitel begonnen werden.
Was ist die österreichische Position zu den umstrittenen Überlegungen eines Gebietstausches zwischen Kosovo und Serbien?
Wir sehen das mit einer Portion Skepsis und Vorsicht. Dabei gilt für uns: Bilaterale Abmachungen im Rahmen eines Gebietstausches, um Landwirtschaft oder Infrastruktur-Maßnahmen leichter wahrnehmen zu können und eine vielleicht als künstlich wahrgenommene Grenze aufzulösen, sind das eine. Wichtiger als die Frage, wer welches Territorium bekommt, ist für uns aber, dass dies mit einer großen Dosis republikanischen und staatsbürgerlichen Denkens geschieht. Wir möchten nicht, wie in Bosnien, eine ethnische oder konfessionelle Kategorisierung niedergeschrieben sehen.
Einen Kurswechsel in der Außenpolitik hat es gegenüber dem Nahen Osten gegeben. Die Jahrzehnte seit Kreisky waren auf Äquidistanz zu Israel wie zu den Palästinensern ausgerichtet. Unter Sebastian Kurz hat sich dies zugunsten Israels verschoben; die arabische Seite scheint nicht mehr den gleichen Stellenwert zu genießen. Liegen Sie da mit dem Kanzler auf einer Linie?
Ich glaube, die arabische Seite hat schon begriffen, dass sie im Verhältnis zu Österreich mit einer Außenministerin, die vor der UNO-Generalversammlung auf Arabisch spricht, ein positiv gesonnenes Gegenüber hat. Das hat bisher noch kein nicht-arabischer Politiker getan. Ich wurde bei Reisen in den arabischen Raum nie auf einen möglichen neuen Kurs angesprochen – da herrschte eher der Tenor ‘Österreich ist zurück in der Region’. Von palästinensischer Seite scheint das nicht ganz der Eindruck zu sein. Die eigentliche Frage des Verhältnisses Israel – Palästina ist seit 2011, seit den arabischen Revolten und Kriegen von Libyen bis Syrien, leider generell in den Hintergrund getreten. Die Palästinenser wissen, dass sie jetzt, egal in welcher Staatskanzlei, im Windschatten dieser Konflikte stehen. Mein Gast für das Neujahrskonzert wird Hanan Aschrawi sein, palästinensische Politikerin der ersten Stunde. Dass wir weiterhin an der Zwei-Staaten-Lösung festhalten, ist Teil des Regierungsprogramms.
Ein anderer großer Konflikt bleibt das Verhältnis Ukraine-Russland, Europa-Russland. Für manche nicht ganz klar ist auch das Verhältnis Österreichs zu Russland, nachdem Wladimir Putin offenbar als Freund Ihre Hochzeit besucht hat. Wenig später sorgte der russische Spionagefall hierzulande für Unmut. Wie würden Sie derzeit Ihr Verhältnis zum russischen Präsidenten beschreiben?
Ich habe zu Wladimir Putin kein Verhältnis, das sich dadurch auszeichnet, dass ich mit ihm regelmäßig in Kontakt bin. Ich habe mich aufrichtig gefreut, dass er als Privatgast zu einer Privatfeier gekommen ist. Wir waren aber seither nicht in Kontakt, und ich habe aus Konsequenz aus dem Spionagefall meine für drei Wochen später angesetzte Reise nach Moskau abgesagt und umfassende Aufklärung gefordert. Zudem haben wir uns für die Fortsetzung der Russland-Sanktionen eingesetzt. Ich wurde auch nach dem Vorfall von Kertsch gefragt, ob ich schon mit Putin darüber gesprochen habe. Ich tue das nicht, weil ich kein Arbeitsverhältnis zu ihm habe. Es geht ja auch nicht darum, wie ich als Person russische Politik bewerte, sondern was die europäische und österreichische Position gegenüber Russland ist. Und das tun wir im Verbund.