Das Schicksal der vom ungarisch-jüdischen US-Milliardär George Soros gegründeten Central European University (CEU) in Budapest ist zu einem europäischen Politikum geworden. Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der Ungarns Regierungspartei Fidesz gehört, spricht immer wieder von einer „roten Linie“, sollte die CEU gezwungen werden, sich aus Ungarn zurückzuziehen. Die CEU hat angekündigt, genau dazu gezwungen zu sein, wenn die Regierung nicht bis zum heutigen Samstag einen Rahmenvertrag für den Betrieb der Uni unterschreibt.
Am 18. November verhandelte Soros mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz darüber, die US-Studiengänge der CEU nach Wien umzusiedeln. Ungarns Regierung hingegen nennt das einen „Bluff“: Die Universität werde sicher nicht umziehen.
Gegenseitige Vorwürfe
Während die CEU davon spricht, die Regierung wolle sie vertreiben, stellen Regierungspolitiker es umgekehrt dar: Die CEU habe versucht, ihre Causa zum Grund zu machen, der zum Ausschluss von Fidesz aus der EVP führen könnte.
Die Affäre begann 2017, im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán fokussierte ihren Wahlkampf auf die Behauptung, Soros sei eine Gefahr, weil er Migranten nach Europa holen wolle. Alles wurde attackiert, was mit Soros zusammenhängt: Von ihm finanzierte NGOs und die von ihm gegründete CEU. Das Ziel war, Oppositionsparteien, die dies kritisierten, als böse Soros-Verbündete darzustellen.
Anti-Soros-Kampagne der Regierung
Die Anti-Soros-Kampagne wurde um zwei Gesetze gewoben. Eines verpflichtete NGOs, „die aus dem Ausland finanziert werden“, diese Tatsache auf allen ihren Schriftsachen sichtbar zu machen. Zudem müssen NGOs, die Migranten helfen, Sondersteuern zahlen. Daneben verpflichtete eine Novelle des Hochschulgesetzes ausländische Universitäten, die auch in Ungarn einen Lehrbetrieb unterhalten, in ihrem Ursprungsland einen Campus zu betreiben, und schrieb einen Rahmenvertrag zwischen Ungarn und der jeweiligen ausländischen Regierung vor.
Mehr als 20 Einrichtungen waren betroffen, aber nur die CEU ging an die Öffentlichkeit: Orbán wolle sie aus dem Land treiben. Die CEU, die ungarische, aber auch US-Diplome vergibt, hatte in den USA keinen Campus.
Dass Orbán die Affäre politisch instrumentalisierte, gibt zumindest ein aktiver Regierungspolitiker hinter vorgehaltener Hand zu. Die CEU tut das aber auch, sagt ein anderer – der EP-Abgeordnete George Schöpflin. Damit habe sie „einen großen Fehler begangen und sich in eine Ecke manövriert. Nun ist eine Situation entstanden, in der keine Seite mehr zurückweichen kann.“ Seiner Meinung nach hoffte die Universitätsleitung auf Druck aus den USA und der EU, und schuf so eine Atmosphäre, in der die Regierung nicht nachgeben konnte.
Unerwünschte liberale Bildungseinrichtung
Wenn diese Schilderung stimmt, würde es bedeuten dass aus der ursprünglich womöglich nur als Wahlkampf-Instrument konzipierten Anti-Soros-Kampagne fast unbeabsichtigt bitterer Ernst wurde. Es ist eine Sicht, die auch einige regierungskritische Experten teilen. Andere wiederum glauben, dass Orbán von Anfang an darauf aus war, die CEU als unerwünschte Bildungsstätte liberaler Eliten aus Ungarn zu verdrängen.
Die Universität gab sich allerdings kooperationsbereit und vereinbarte mit dem New Yorker Bard College eine Zusammenarbeit. Studenten können dort jetzt zwei CEU-Studiengänge belegen. Reicht das? Regierungsmedien schreiben, das sei lächerlich wenig. „Aber die Regierung hat auf unsere Fragen, was wir denn tun müssen, um den Anforderungen zu genügen, nie geantwortet“, sagte eine CEU-Sprecherin, die nicht namentlich zitiert werden will. „Genügen zwei Studiengänge? Müssen es vier sein oder mehr? Wir haben wiederholt gefragt, nie kam eine Reaktion.“
Frist läuft mit Jahresende ab
Der US-Bundesstaat New York erklärte sich derweil bereit, mit der ungarischen Regierung den geforderten Rahmenvertrag abzuschließen. Damit, so die CEU, sind alle Forderungen erfüllt. Aber die Regierung verlängerte nur die Frist, bis zu der die CEU den Bedingungen entsprechen müsse. Die läuft nun am 1. Jänner 2019 ab.
Im April besuchte der damalige Staatssekretär und heutige Innovationsminister László Palkovics das Bard College. Justizminister László Trócsányi sagte dieser Zeitung, seither laufe eine „Tatsachenüberprüfung“, ob die Aktivitäten der CEU dort als „Campus“ bezeichnet werden können. Das brauche „Zeit“.
In dieser Lage setzte die CEU selbst eine Frist: Wenn es bis zum 1. Dezember keine Lösung gibt, werden ihre US-Diplomstudiengänge (ab dem nächsten Jahrgang) nach Wien verlagert.
Seither suggeriert die Regierung, dass am Bard College keine nennenswerte CEU-Lehrtätigkeit stattfindet, dass also die Bedingungen nicht erfüllt sind. Zugleich heißt es aber, die Universität werde bestimmt nicht nach Wien umziehen, das sei ein „Bluff“.
Von Umzug keine Rede?
Widersprüchlich? Man muss nur genau hinhören. Die ungarischen Diplome der CEU sind ja nicht vom Gesetz betroffen, nur deren US-Diplome. Wenn diese „amerikanischen“ Studiengänge nach Wien umziehen, „ändert sich doch kaum etwas“, sagt Innovationsminister Palkovics. Die CEU, in ihrer ungarischen Variante, bleibe ja in Budapest. Von Umzug könne also nicht die Rede sein.
Und die rote Linie der EU, der EVP? Falls CEU-Rektor Michael Ignatieff darauf gesetzt hat, hat er sich wohl tatsächlich verrechnet. Seit dem EVP-Kongress Anfang November haben sich die Christdemokraten mit Orbán arrangiert. Man braucht ihn für die anstehenden Wahlen zum Europaparlament.
Boris Kálnoky