Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) hat am Samstag ihren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow angerufen, um über die am Freitag bekannt gewordenen Spionagevorwürfe mit Russland-Bezügen zu sprechen. Dies teilte das russische Außenministerium am Samstagnachmittag in einer Presseaussendung mit.
Kneissl und Lawrow hätten im Telefonat den aktuellen Zustand der russisch-österreichischen Beziehungen besprochen, der durch Behauptungen der österreichischen Regierung entstanden sei, dass ein ehemaliger Bundesheermitarbeiter für Russland spioniert habe, informierte das Außenministerium in Moskau.
Kneissl weist Vorwürfe zurück
Kneissl hat in dem Telefongespräch mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow den Vorwurf der "Megafon-Diplomatie" zurückgewiesen. Lawrow hatte diesen Ausdruck vor dem Hintergrund des Spionageverdachts aus Österreich verwendet. "Die Vorgehensweise der österreichischen Bundesregierung beruht auf klaren Fakten", sagte Kneissl laut einer der APA übermittelten Stellungnahme.
"Es handelt sich hier um strafrechtlich relevante Vorgänge, die eine Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden und die umgehende Information der Öffentlichkeit unumgänglich machten", betonte die Ministerin demnach am Samstag gegenüber Lawrow. Die Bundesregierung hatte Freitag früh in Wien mitgeteilt, dass ein mittlerweile pensionierter Bundesheer-Oberst seit den 1990er-Jahren für Russland spioniert haben soll.
"Dieser Spionagefall ist eine inakzeptable Einmischung in die inneren Angelegenheiten", sagte Kneissl zu dem Verdacht. "Wir erwarten uns bei der Aufklärung des Falles die volle Zusammenarbeit der russischen Seite", machte die Ministerin deutlich.
Lawrow: "Nicht bewiesene Anschuldigungen"
"K. Kneissl erklärte die Motive hinter den diesbezüglichen Entscheidungen in Wien und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich die unternommenen Schritte sich nicht auf die weitere Entwicklung der bilateralen Zusammenarbeit auswirke", hieß es in der Erklärung.
Lawrow sieht sein Land wegen neuer Spionage-Ermittlungen in Österreich zu Unrecht öffentlich an den Pranger gestellt. Das bekräftigte er am Samstag nach dem Telefonat mit Kneissl. Nach Angaben des Außenministeriums in Moskau sprach Lawrow von "nicht bewiesenen Anschuldigungen", die öffentlich vorgebracht worden seien.
Das entspreche nicht den diplomatischen Gepflogenheiten. Die Regierung in Wien hätte nach Ansicht von Lawrow die bekannten Gesprächskanäle nutzen sollen.
Die russische Seite habe seinerzeit betont, dass die Praxis einer öffentlichen Erhebung unbewiesener Anschuldigungen den Normen der internationalen Kommunikation widerspreche und inakzeptabel sei. Beliebige wechselseitige Bedenken seien faktenbasiert und über vorhandene Kanäle des Dialogs zu übermitteln, erinnerte einmal mehr das russische Außenministerium und erwähnte abschließend, dass auch weitere bilaterale Themen besprochen worden seien.
Auch NATO-Informationen weitergegeben?
Rund um den Fall jenes Bundesheer-Offiziers, der über zwanzig Jahre lange für Russland spioniert haben soll, werden immer weitere Details bekannt. Die "Salzburger Nachrichten" schreiben am Samstag unter Berufung auf ehemalige Berufskollegen, dass der mutmaßliche Spion auch NATO-Seminare und -Kurse besucht haben und Informationen daraus an Russland weitergegeben haben soll. Laut SN soll der "grundsätzlich geständige" Verdächtige ganz generell "weiche Informationen" geliefert haben: "Dazu gehört, wer hat welche Schwächen, welche Vorlieben bei Trinken und Essen sowie Stimmungsbilder innerhalb der Abteilungen beim Heer." Außerdem soll der gebürtige Salzburger Kontaktdaten aus dem Intranet des Heeres weitergegeben haben.
Van der Bellen: "Spionage ist inakzeptabel"
Laut Berichten war der Offizier vor seiner Pensionierung der Abteilung Strukturplanung im Verteidigungsministerium zugeteilt. Der Hinweis auf die Spionage-Aktivität sei von einem "deutschen Dienst" gekommen, schreibt der "Standard" ebenfalls am Samstag.
Laut Vorabmeldnung des Nachrichtenmagazins „profil“ hatte der pensionierte Offizier im Ministerium auch Kenntnis über internen Abläufe der Zentralstelle. Den Hinweis auf den Spion erhielt das Heeres-Abwehramt laut „profil“ von einem befreundeten militärischen Dienst, mutmaßlich dem deutschen Militärischen Abschirmdienst (MAD).
Bundespräsident Alexander Van der Bellen drängt unterdessen auf eine "lückenlose" Aufklärung des Falles rund um den Bundesheer-Offizier, der über zwanzig Jahre lange für Russland spioniert haben soll. "Spionage ist inakzeptabel", sagte der Bundespräsident gegenüber mehreren Tageszeitungen am Samstag.
Experte: "Russen wollen möglichst komplettes Lagebild"
Doch welche Informationen konnte er den Russen liefern? „Da geht es weniger um militärische Geheimnisse, sondern üblicherweise um Stimmungsbilder, die man sonst mühsam sammeln müsste“, erklärt Spionage-Experte Florian Rehekampff („Im Fadenkreuz der Spione“). „Die Russen agieren wie ein Staubsauger, sie tragen alles zusammen, was sie kriegen können.“ Dabei greifen sie auf ihre starke Personalressource in Österreich zurück. Kein anderes Land habe so viele Agenten bei uns, so der Experte. Neben Einschätzungen über Persönlichkeit, Schwächen und ideologische Ausrichtung von hohen Offizieren dürfte der nun aufgeflogene Oberst dem russischen Geheimdienst auch Informationen über beim Heer verwendete Waffensysteme und Luftfahrzeuge übermittelt haben. All das helfe den Russen in ihrem Bestreben, ein möglichst komplettes Lagebild zu bekommen, so Rehekampff.
"Umstände dieser Affäre sind etwas eigenartig"
In der ZiB 2 erklärte der Grazer Historiker und Spionageexperte Siegfried Beer: "Wie ernst dieser Fall ist, wissen wir nicht, aber die Umstände dieser Affäre sind etwas eigenartig." Auf die Frage, was in Österreich von Interesse sein könnte, sagte Beer: "Es gibt in Österreich vieles, das von Interesse ist." Allein Österreichs geopolitische Lage sei spannend.
Die Konsequenz aus dieser Spionage-Affäre müsse allerdings im Lande gezogen werden, nicht durch eine Petition an Moskau. Das eigentlich Bedenkliche sei, sagte Beer, dass diese Spionage 20 Jahre unentdeckt geblieben sei. "Wie kann es sein, dass jemand so lange spionieren konnte?", das sei das wirkliche Problem, das nun angepackt werden müsse, erklärte Beer.
Und Beer fügte an, dass alle Staaten spionieren würden, die kleinen wie die großen: "Wir spionieren ja auch", etwa am Balkan.