Im Ministerrat hat die Regierung heute das Nein zum UN-Migrationspakt offiziell beschlossen und danach öffentlich begründet. Vizekanzler Heinz-Christian Strache sprach von "einem unfairen Pakt, mit dem wir unsere Souveränität verspielen würden". Vor allem wendet man sich gegen umfassende Ansprüche von Zuwanderern, etwa auf Sozialleistungen, und gegen die Möglichkeit, illegale Migranten in legale umzuwandeln.
Die Opposition formuliert nun heftige Kritik. Der außenpolitische Sprecher der SPÖ, Andreas Schieder, spricht von einer "schlecht überlegten Fehlentscheidung". Migration und Flucht seien globale Themen, deswegen sei die globale Zusammenarbeit im Rahmen der UNO "natürlich richtig". Österreichs Ruf als verlässlicher Partner der westlichen Wertegemeinschaft werde beschädigt.
Erzürnt ist auch Neos-Europaabgeordnete Angelika Mlinar: "Ich finde es beschämend, wie sich die ÖVP - eine christlich soziale Partei - als willfähriger Kumpane einer FPÖ beweist, die das Zerstören der EU und in weiterer Folge internationaler Organisationen im Visier hat." Das Vorgehen sei "zynisch und niederträchtig" und spalte die Gesellschaft.
Überhaupt meldeten sich mehrere EU-Abgeordnete zu Wort - der herannahende EU-Wahlkampf lässt grüßen. Der Grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon sagte, mit dem Rückzug aus dem Migrationspakt sei Österreich "nicht nur Teil des reaktionären Ostblocks, wir führen diesen auch an". Für SP-Mandatar Josef Weidenholzer ist das Nein zum Pakt "eines EU-Ratsvorsitzes schlichtweg unwürdig".
Die Liste Pilz kündigte eine "Protestaktion" gegen die Entscheidung an, gab aber zunächst weder Ort noch Zeit bekannt. "Ich lade schon jetzt alle DemokratInnen herzlich dazu ein, sich an dieser Aktion zu beteiligen. Wir werden ehestmöglich die Details bekannt geben", schrieb Parteiobfrau Maria Stern in einer Aussendung. Auch das Österreichische Rote Kreuz beklagte die Entscheidung: "Aus humanitärer Sicht ist es unverständlich und ein falsches Signal", heißt es dort.
Regierung sieht sich als Vorreiter
Die Regierung hielt kräftig dagegen. Strache schrieb auf Facebook: "Österreich nimmt hier eine selbstbewusste Vorreiterrolle für die Selbstbestimmung in Europa ein. Wer nach Österreich kommt, bestimmen auch künftig wir Österreicher selbst."
"Ein guter Einstieg in den Tag beginnt mit dem Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt", twitterte FPÖ-Co-Generalsekretär und Europaparlamentarier Harald Vilimsky. In einer Aussendung zählte er auf, gegen welche Punkte des Paktes sich Österreich wende, "sofern sie über die bestehende österreichische Rechtslage hinausgehen": etwa gegen den Zugang von Migranten zu Grundversorgung, Gesundheitssystem und höherer Bildung, oder die Erleichterung von Familienzusammenführungen.
Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) ging auf den Umstand ein, dass bisher nur sehr wenige Staaten den Pakt ablehnen. Kickl sagte nach dem Ministerrat, ihm sei klar, "dass es auch in der internationalen Politik so etwas wie eine Gruppendynamik gibt". Es sei oft bequemer, den Weg zu gehen, den viele gehen. Die Regierung habe aber nicht danach zu handeln, was einfach sei, sondern was verantwortungsbewusst und nachhaltig sei.
Für die ÖVP äußerte sich deren Migrationssprecher und Generalsekretär Karl Nehammer: "Eine Vermischung von Asyl und Zuwanderung ist nicht zu dulden. Ich begrüße den Nicht-Beitritt zum UNO-Migrationspakt. Wir müssen klar und deutlich zwischen legaler und illegaler Migration unterscheiden. Eine Verwässerung dieser Unterscheidung, wie im Pakt vorgesehen, ist strikt abzulehnen."
Internationales Echo
Auch international schlägt Österreichs Nein schon Wellen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bedauert die Entscheidung. Zugleich erneuerte er im Ö1-Mittagsjournal seine Forderung, dass die EU in außenpolitischen Fragen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden müsse.
Es sei "ein Unding", dass die EU in dieser substanziellen Zukunftsfrage nicht mit einer Stimme reden könne. "Aber wir werden uns mit den österreichischen Freunden in den nächsten Wochen noch unterhalten." Auf die Frage, ob in diesem Fall ein "Drüberfahren" über manche Länder wie Österreich oder Ungarn - die beide den Migrationspakt ablehnen - denn ein gutes Bild machen würde, antwortete Juncker: "Es macht kein gutes Bild, ist aber effizienter als die jetzige Lage."
Viel Lob kam indes von der rechtspopulistischen AfD in Deutschland. Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel forderte umgehend, dass auch Deutschland "dieses Machwerk" (den Migrationspakt) nicht unterzeichnen dürfe. Denn dieser sei "ein unkalkulierbares Risiko für unser Land und ganz Europa".