Noch hält das Weiße Haus eisern an dem saudischen Kronprinzen fest. Mohammed bin Salman wisse nichts von den Vorfällen in der saudischen Botschaft, twitterte US-Präsident Donald Trump und stellte "in Kürze Antworten" in Aussicht. Sein US-Außenminister Mike Pompeo ließ sich derweil jovial lächelnd mit dem Thronfolger in dessen Palast in Riad photographieren. Nach dem Gespräch gab sich der Amerikaner demonstrativ gelassen und erklärte, die saudische Seite habe eine gründliche, zeitnahe und transparente Untersuchung zugesagt – eine Botschaft, der er am Mittwoch bei seinem Zwischenstopp in Ankara auch dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan übermittelte.
Doch das Verschwinden des prominenten Journalisten und Regierungskritiker Jamal Khashoggi ist längst kein diplomatischer Routinefall mehr, der in absehbarer Zeit zu den Akten gelegt werden kann. Je mehr gruselige Details ans Tageslicht kommen, desto mehr verdichtet sich der Verdacht, Thronerbe Mohammed bin Salman und seine Sicherheitsleute könnten unmittelbar in den Mord verwickelt sein. Auch die offenbar von seinen Beratern erwogene neue Strategie, die Bluttat in dem Konsulat jetzt doch zuzugeben, sie aber als eine aus dem Ruder gelaufene Operation schurkenhafter Geheimdienstler hinzustellen, ist mit den jüngsten Enthüllungen nicht mehr vereinbar.
"Halt den Mund, wenn du leben willst"
Nach Tonbandaufnahmen von den letzten Minuten Khashoggis, die türkische Ermittler jetzt erstmals einheimischen Medien zugänglich machten, war die ganze Operation von vorneherein ein geplanter Mord. Nach Angaben der Ohrenzeugen ist auf den Bändern zu hören, wie Khashoggi von dem Büro des Generalkonsuls in einen Nebenraum bugsiert und auf einen Tisch geworfen wurde. Unter infernalischem Geschrei des Opfers begannen die Henker, ihm bei lebendigem Leib die Finger abzuschneiden. Generalkonsul Mohammed al-Otaibi ist zu hören, wie er die Schergen aufforderte, "macht das draußen, ihr bringt mich in Schwierigkeiten". Falls er in Saudi-Arabien am Leben bleiben wolle, wenn er zurückkomme, solle er den Mund halten, beschied einer aus dem 15-köpfigen Killerkommando den Diplomaten.
Das Augenmerk der Fahnder richtet sich nach Angaben der "Washington Post" vor allem auf Salah Muhammad Al-Tubaigy, den mitangereisten, hochrangigen Gerichtsmediziner sowie auf drei Personen, die zur Sicherheitsentourage des Kronprinzen gehören, und auf einen fünften Mann, einen häufigen Reisegenossen des 33-jährigen Königssohnes.
Soundtrack zum Knochenzersägen
Als zentrale Figur gilt der Forensiker Al-Tubaigy, der in Glasgow studierte. Er ist Dozent an der "Naif Arab University for Security Sciences" in Riad und arbeitet mit militärischem Rang im Innenministerium. Von ihm sind mehrere Publikationen bekannt, in denen er sich mit DNA-Analysen und Autopsien beschäftigt. Der Mediziner hat das nötige Wissen, an einem Tatort die Spuren gründlich zu beseitigen.
Wie das Nachrichtenportal „Middle East Eye“ berichtet, das sich ebenfalls auf eine türkische Quelle berief, gab es keinerlei Versuche, Khashoggi zu verhören. Der Todeskampf des Gefolterten habe sieben Minuten gedauert. Der Autopsie-Spezialist Al-Tubaigy habe den Körper bereits mit der mitgebrachten Knochensäge zu zerschneiden begonnen, als das Opfer noch lebte, und den Gemarterten schließlich mit der Injektion einer unbekannten Substanz zum Verstummen gebracht. Während er den restlichen Körper in Stücke schnitt, setzte der Mediziner einen Kopfhörer auf und hörte Musik. Seinen umstehenden Komplizen empfahl er, das Gleiche zu tun. "Wenn ich einen solchen Job erledige, höre ich dazu Musik. Das sollten sie auch machen."
Martin Gehlen