Ab 8. November steht US-Filmemacher Harvey Weinstein in New York vor Gericht. Vor einem Jahr hatte die „New York Times“ einen Artikel veröffentlicht, in dem ihn mehrere Frauen der sexuellen Belästigung bezichtigten. Zehn Tage später brachte die Schauspielerin Alyssa Milano via Twitter einen Stein ins Rollen, der eine Lawine auslöste: Der Einladung, durch ein MeToo sichtbar zu machen, in welchem Ausmaß Frauen von sexueller Belästigung betroffen sind, leisteten Millionen Folge.
Was hat sich verändert?
„Es ist diskutiert worden, und es wird weiter diskutiert“, sagt Autorin Eva Rossmann, Initiatorin des ersten Frauenvolksbegehrens vor 21 Jahren. „Frauen sind um einen Tick selbstbewusster geworden, Männer um einen Tick unsicherer.“
Auch wenn die Anhörung von Psychologin Christine Blasey Ford – die Beschreibung der versuchten Vergewaltigung vor 36 Jahren – trotzdem in der Bestellung von Brett Kavanaugh zum Höchstrichter gemündet hat: Blasey hat gesprochen und ist gehört worden. Studien belegen: Drei von vier Frauen haben sexuelle Belästigung erfahren. Im Wissen darum, eine von vielen zu sein, „me too“, lernten die Frauen, darüber zu reden. Es wird ihnen heute eher geglaubt.
Warum erst jetzt?
Das ist die Frage, die gerade im Fall Brett Kavanaugh thematisiert wurde. Eine Antwort fand Lady Gaga. Auch sie war als 19-Jährige vergewaltigt worden. Auch sie hatte geschwiegen. „Wir packen es weg, das hilft uns, den Schmerz zu überleben.“ Bis ein Anlass kommt, der die Frau stark genug macht, die Erfahrung zu teilen. Im Wissen darum, ein zweites Mal zum Opfer zu werden. Die Skifahrerin Nicola Werdenigg hat es getan. Die Sängerin Julia Oesch hat es getan. Ex-Politikerin Sigrid Maurer hat es getan. Missbrauch im Skizirkus und in der Festspielszene, Sexismus im Alltag wurden zum Thema.
Immer geht es auch um die Frage: Was ist erlaubt? „Jeder Mann weiß, was ein Übergriff ist und was ein Flirtversuch“, sagt Rossmann. „Bei Übergriffen geht es immer um Macht, nicht um Sex. Es geht um die Einschüchterung der Frauen“, sagt auch Alice Schwarzer.
Maurer hat vor Gericht in erster Instanz verloren. Einschüchtern ließ sie sich nicht. Eine aktuelle Studie zeigt: Jede dritte Frau ist von Gewalt im Internet betroffen.
Und die Männer?
Jörg Kachelmann? Dieter Wedel? Gustav Kuhn? Ihre Existenzen wurden vernichtet. Eine Fehlentwicklung von #MeToo? Ein Pranger, dem sie schutzlos ausgeliefert sind? Ein „Mythos der falschen Beschuldigung“ macht sich breit, schreibt die „Zeit“. Die Zahl der Fälle von Falschbeschuldigung sei so gering, dass sie es nicht rechtfertigen, dass jede Frau, die sich wehrt, damit konfrontiert werde.
Aber Sensibilität ist angebracht, wie der Fall Kachelmann zeigte, dessen Unschuld sich erwies. Rossmann: „Man muss den Missbrauch aufzeigen, aber wir müssen vorsichtiger sein. Das hat mit Respekt zu tun, auch gegenüber den Männern.“
Was von #MeToo bleibt, das hängt von uns ab. Schriftstellerin Marlene Streeruwitz: „Es wird das bleiben, worauf wir bestehen. Die Gleichheit der Geschlechter ist eine Säule der Demokratie. Jeder und jede müsste Feministin sein.“
Was kommt nach #MeToo? Rossmann dockt an beim Fall Maurer: „Dass Sexismus im Netz nicht sein darf. Dass man das öffentlich machen kann. Darüber müssen wir reden.“